TransAct 16

TransAct Statement

Der Prozess, der in Österreich eine völkische Form des Neoliberalismus auf die Vorderbühne der politischen Macht treten ließ, machte sich im Feld der Bildenden Kunst seit Jahren bemerkbar. An die gegen die zeitgenössische Kunst gerichteten Kampagnen (u. a. Nitsch, Krystufek, Kolig) der mittlerweile über die Regierungsbeteiligung legitimierten extremen Rechten muß kaum erinnert werden. Weniger bewußt als die offenkundigen historischen Kontinuitäten sind verschiedene Anzeichen im Kunstfeld selbst. Sie zeigen, in welchem Maße auch das soziale System der Kunst in Haupttendenzen der Gesellschaft einbezogen ist.

Aus der Einstellungsforschung ist die im westeuropäischen Vergleich seit den 80er Jahren außergewöhnlich starke Verbreitung eines ethnisch begründeten Nationalismus in Österreich bekannt, wobei eine Teilerklärung in der unbewußten Flucht in eine Opferidentität liegt. Als sich im Jahre 1993 Österreich dazu entschloss, sich an der 45. Biennale von Venedig auch mit zwei Künstler/innen, die nicht aus dem eigenen Land stammen, zu beteiligen, stieß diese Entscheidung, die das ethnische Prinzip der Staatsrepräsentation durchbrach, auf verbreitete Ablehnung. Nicht weniger als rund ein Drittel der in einer Studie befragten Künstler/innen und rund 42% der Besucher/innen in den wichtigsten Wiener Ausstellungsinstitutionen reagierten aversiv. Bemerkenswerter ist vielleicht noch, daß Patriotismus bzw. Nationalismus alleine statistisch nahezu gleich viel an Streuung der Einstellung gegenüber der Vertretung Österreichs durch Andrea Fraser und Christian Philipp Müller erklärten als rund 30 andere Erklärungsfaktoren zusammen. Außerdem wurde die Bewertung von deren Arbeiten stärker durch nationalistische Wahrnehmungs- und Interpretationsrahmen als durch jeden anderen Faktor erklärt, und zwar unabhängig davon, ob eigene „ästhetische Erfahrungen“ in Venedig vorlagen, oder ob die Installationen nur indirekt oder vom Hörensagen bekannt waren.

In Deutschland kam es zur gleichen Zeit zu keiner „patriotischen“ Kritik an der Biennale-Repräsentation durch Nam June Paik. Dem entsprechen Ergebnisse über die nationale Identifikation im deutschen Kunstfeld. In eine ähnliche Richtung gingen auch die Ergebnisse einer weiteren, 1995 in dem nicht gerade „postnationalen“ Frankreich durchgeführten Erhebung. Sie fand in Paris statt, dem heutigen Zentrum der Zurückweisung der österreichischen Normalisierungspolitik. Auf die Frage, ob die Übernahme des Modells der transnationalen Repräsentation für die 46. Biennale wünschenswert sei, lehnten dies für Frankreich lediglich rund ein Viertel des dortigen französischen Publikums der zeitgenössischen Kunst ab. Das durch diese Daten aus den 90er Jahren für Österreich belegte Übermaß an Patriotismus in einem Feld, das sich zum Teil aus den gesellschaftlichen „Eliten“ rekrutiert, war ein Anzeichen für die Möglichkeit einer Konstellation, wie sie heute in Österreich vorzufinden ist. Dies gilt auch für die Reaktivierung der Opferpose angesichts von Kritik und Sanktionen aus anderen Ländern und für die Selbststilisierung als „Kulturnation“.

Eine Regierung unter Beteiligung der extremen Rechten ist angesichts der österreichischen Vorgeschichte – insbesondere der Beteiligung am Holocaust – unannehmbar. Der vom künstlerischen Feld getragene „Widerstand“ sollte seine Kräfte auf ihre Ablösung richten, den in einem überschäumenden Patriotismus fundierten Rassismus und (kulturellen) Neorassismus mit den avancierten symbolischen Waffen der Kritik und Mobilisierung, über welche die Kunst verfügt, entgegentreten und dabei den Hyperpatriotismus im eigenen Feld mit einbeziehen.

Ulf Wuggenig, Soziologe, Kunstraum der Universität Lüneburg

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