KünstlerInnenporträts 20

Auszug aus einem Gespräch mit Mary Heilmann

Sie kamen nach langem künstlerischen Werdegang zur Malerei?

Ich stamme aus Kalifornien und wollte Schriftsteller werden. Als Schülerin machte ich Literatur. Dann begann ich mich mit Töpferei zu beschäftigen. Mitte der fünfziger Jahre war die „Beatnik“-Bewegung entstanden, die sich um die Dichtung drehte. Doch es ging auch schon um die Erfindung einfacher, nichtindustrieller Lebensweisen und in diesem Rahmen machten wir Töpfe. Das fiel mir leichter als Schreiben. Auf der Universität studierte ich dann Keramik, und von da wechselte ich zur Skulptur über. Das mag Mitte der sechziger Jahre gewesen sein.

Von der Malerei war noch nicht die Rede?

Ich ging aus Los Angeles nach San Francisco, wo das Leben „hochkultureller“ war als im Süden Kaliforniens, und dann weiter zum Studium nach Berkeley. Dort machte praktisch jeder Skulptur. Malerei wurde damals von meinen Freunden verdammt. Ich war da keine Ausnahme. Wir sahen einfach keinen Nutzen für gemalte Bilder. So etwas schien stupid. Nach Abschluß des Studiums zog ich nach New York. Die Avantgarde-Kunstszene war da vor allem eine Bar-Szene, in der jeder irgendwie herumhing. Auch da war von Malerei zunächst nichts zu sehen.

San Francisco wies Ende der sechziger Jahre eine lebendige Boheme auf, die sich aber bereits am absteigenden Ast befand.

Richtig. In den frühen sechziger Jahren hatte die „Beatnik“-Szene dominiert, die mich tief beeinflußte, während ich auf die High School ging. Den Anfang hatte das Gedicht „Howl“ von Allen Ginsberg 1955 gebildet. Zehn Jahre später kamen die Hippies auf. Die Beatnik-Bewegung der fünfziger Jahre war überaus hart und rauh gewesen. Die Hippies der späten sechziger Jahre waren dann schon weit mehr verfeinert und „nett“. Sie waren durch die Hochkultur gegangen.

Wobei es Männer erstmals wagten, ihre femininen Qualitäten auszuleben?

Ja, das bestimmte die Hippie-Bewegung, mit langen Haaren, Blumen usw. Mit persönlich war das weniger sympathisch. Ich zog in meiner künstlerischen Arbeit die harte und brutale Haltung gegenüber vor, die Jack Kerouac und die „Beatniks“ eingeleitet hatten. Heute liegt das jedoch bereits weit zurück.

Dann gingen Sie an die Ostküste, nach New York.

Ich traf 1968 in New York ein, in einer überaus „heißen“, aufregenden Phase dieser Stadt. Mein Freund Richard Serra, den ich aus dem College kannte, war schon zuvor nach New York gezogen und er führte mich in die Kunstszene ein. Ich verstand mich damals als Bildhauerin. Ich war felsenfest überzeugt, das sei es, was ich machen wolle und mit meinen Skulpturen befände ich mich kunsthistorisch auf einem entscheidenden Weg. War nicht jemand wie Bruce Nauman, der dann ein guter Freund blieb, noch in Kalifornien auf der Kunsthochschule von meinen bildhauerischen Arbeiten beeinflußt worden?

Gerade da aber begannen Sie zu malen.

In New York erkannte ich rasch, daß in der Skulptur schon fast alle Bereiche besetzt waren. Zehn Jahre lang hatten ganze Generationen bildender Künstler vornehmlich Skulptur betrieben. Da begann ich nach und nach in die Malerei hinüberzugleiten. Das ging zwar allmählich vor sich, war aber zugleich ein sehr aggressiver und antagonistischer Schritt.

Da es so sehr gegen den Zeitgeist ging.

Ja. Malerei galt damals als sehr dumm, ausgelaugt und beendet, als abgeschlossenes Kapitel der Kunstgeschichte.

Heute denkt man vor allem an „heroische“ Haltungen, wenn man über die Malerei in dieser Zeit oder ihre neuen Positionen spricht. Denken wir an Robert Ryman oder die Expressionisten. Ihr Umgang mit Malerei ist dagegen auffallend locker, entspannt und ungezwungen. In Europa ist man dafür vielleicht empfänglicher. Malerei nicht als eine Ideologie, sondern als etwas, was über sich selbst hinaus in kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhängen steht.

Mein gesamtes Werk kommt nicht zuletzt auch aus einem Refugium von Ironie. Das war schon auch immer fürchterlich ernst, zugleich aber „fürchterlich“ gespielt. Immer wenn ich das Gefühl habe, ich verstünde, was ich tue, gehe ich zu etwas Anderem über.

Ihre Malerei repräsentierte einen neuen Umgang mit Geometrie, Mustern und anderen klassischen Momenten der Abstraktion.

Man darf nicht vergessen, daß wir alle in den sechziger Jahren im Sinne der Minimal Art ausgebildet wurden. Das war ein guter Ausgangspunkt. Doch was dann folgte, waren Konsequenzen des Ungenügens gegenüber der extremen Nüchternheit dieser Formensprache.

Interessierten Sie damals Künstler wie Gordon Matta-Clark und sozialer und erweiterte Kunstformen, wie sie etwa in der Kooperative „The Kitchen“ stattfanden?

Anfang der siebziger Jahre lebten wir in New York in einer hippieartigen Szene. Wir hatten in Chinatown eine Kommune, in der Gordon Matta-Clark eine bedeutende Person war. Wie Keith Sonnier oder Joan Jonas übrigens. Man hing herum, trank, tanzte, redete viel und rauchte eine Menge. Der Vorgarten war als Dschungel gestaltet, um an Vietnam zu erinnern. Nebenan entwickelte Philip Glass seine Musik. Alle Kunstformen liefen zusammen.

Verstanden Sie Ihre Malerei in dieser Zeit als autonomes Schaffen oder ging es um eine Art dekorativen Dialog mit dem Raum?

Das Umgehen mit Raum bis zum Gefühl, meine Malerei habe ursächlich mit Architektur zu tun, stammt erst aus den letzten zehn Jahren. Architektur und Räume hatten mich immer schon interessiert. Aber damit auch wirklich zu arbeiten, trägt sich erst zu, seit ich bei Pat Hearn ausstelle, die einen wunderbaren Sinn für Räume hat. Vielleicht ergab sich das auch, weil ich Mitte der achtziger Jahre da auszustellen begann, als sich die Galerie in architektonisch großartigen Räumen an der Lower East Side in New York befand.

Diese Galerie hat damals auch als eine der ersten junge Maler aus der Graffiti-Szene gefördert, die subkulturelle Äußerungen vortrugen.

Es ging uns um die Erschaffung dessen, was man den Postmodernismus nennt. Um einen Neosurrealismus, eine Neogeometrie, um das erneute Durchprobieren früherer Stile. Die Galerie lag in der härtesten Drogengegend von New York, aber wenn man diese zu Fuß durchquert hatte, trat man in den schönsten und makellosesten Raum ein, den man sich vorstellen kann. Dieser Raum hat meine Malerei dann sehr verändert. Ich begann insbesondere „aufgeplatzte“ Motive – wie aufgeplatzte Haut – zu verwenden, die das, was sich hinter dem Gemälde befindet, ins Motiv einbeziehen. Oder objekthafte Leinwände, die einen Dialog mit der Wand ausbilden.

Aber bei einer prächtigen Farbgebung.

Die „schöne“ Farbauswahl? Ja, sehr laut vor allem, und heiß. Das alles ist stark von der Kultur der Straße beeinflußt und von den dramatischen Dekorationen, die man da antrifft. Das hat meine Arbeit mehr als alles andere beeinflußt. So denke ich auch, meine Bilder seien am ehesten dazu gemacht, in das Zimmer eines Rappers zu passen, oder in das Haus einer Arbeiterfamilie aus den fünfziger Jahren. Oft, wenn ich mir überlege, wozu das was ich tue, eigentlich gehört, denke ich an Filmdesign. Es handelt sich nicht so sehr um Kunst, die für Museen bestimmt ist oder als Meisterwerk angelegt sein will.

(Textfassung: Robert Fleck; publiziert in: Der Standard, 04.10.1995, S. 13)

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