KünstlerInnenporträts 07

Auszug aus einem Gespräch mit Mike Kelley

In Ihrem künstlerischen Werk verwenden Sie handgefertigte Gegenstände aus dem Haushalt Strickarbeiten – also Frauenarbeit – und Teddybären, neuerdings wieder mehr technische Objekte und Dokumentationen. Spielt dieser „Wechsel der Geschlechterrollen“ für Sie persönlich eine Rolle?

Zunächst war mir die Bedeutung dieser handwerklichen Gegenstände nicht bewußt. Ich begann eines Tages damit zu arbeiten, und dies wurde immer intensiver. Später erst fiel mir auf, daß es nicht „normal“ oder zumindest nicht häufig ist, wenn ein männlicher Künstler mit solchen Materialien umgeht. In Europa hörte ich dazu oft die Vokabel vom „Rollenspiel“. Und plötzlich sagten die Leute, wenn sie einen Teddybären sahen: „Schau, das ist Mike Kelley-Kunst!“ Es ist schon komisch: Zunächst wundert man sich darüber, daß ein Künstler Hausfrauendinge und Spielzeug verwendet, und – Schwupps – wird es in den Augen der Kunstkritik dann gleich zum Markenzeichen.

Hatte Sie das bei diesen Installationen und Performances mit den Teddybären gar nicht interessiert?

Nein. Für mich handelt es sich um ein Anknüpfen an meine frühen Skulpturen aus den siebziger Jahren, die zum Beispiel Vogelhäuschen darstellten. Was mich interessiert, war die kulturelle Neutralität dieser Gegenstände, die ebenso universell einsetzbar sind wie das Quadrat oder der Kubus in der geometrisch-abstrakten Kunst und in der „Minimal Art“, aber ohne das „schicke“ Aussehen der minimalistischen Kunst. Die frühen Vogelhaus-Skulpturen hatte ich genauestens aus Heimwerker-Bauanleitungen übernommen. Als mir die Identifikation meiner Person mit den Teddybären-Installationen dann zu weit ging, baute ich dann auf der letzten „documenta“ 1992 in Kassel wieder mit der Heimwerker-Anleitung ein Gartenhaus, allerdings ausgestattet als orgonale Lebensstation, als Energie-Akkumulator. Wichtig war auch in diesem Fall, das alles von einem gewöhnlichen, etwas eigenwilligen amerikanischen Häuschenbesitzer als ein Wochenendprojekt ausgeführt werden konnte. Die Persönlichkeit eines ganz bestimmten Menschen, der natürlich fiktiv ist, muß dabei in jedem Fall durchdringen. Das macht die Kunst spannend.

Als Sie Mitte der achtziger Jahre die Hausfrauenobjekte und Plüschtiere in Ihrer Kunst aufgriffen, war das wohl kein neutraler Akt. Sie gaben sich als einer der ersten weißen männlichen Künstler mit Ausdrucksformen der großen Minderheiten in den westlichen Gesellschaften, der Frauen und Kinder, ab.

Das war nicht mein Ausgangspunkt. Als ich alle diese tausenden Gegenstände kaufte, interessierte ich mich für handgefertigte Geschenke im Familienkreis. Erst dann bemerkte ich, daß es überwiegend mit Frauen und Kindern zusammenhing. Vielleicht kommt das daher, daß Frauen und Kinder mehr Zeit für Handarbeit haben.

Sie betrieben sozusagen eine Studie über angewandte Kunst in der heutigen amerikanischen Gesellschaft?

Ja, durchaus. Ursprünglich interessierte mich die Vorstellung des Geschenks, die „Politik des Geschenks“ im heutigen gesellschaftlichen Alltag. Erst als ich alle diese Dinge zu Hause hatte und sie hin- und herbewegte, fiel mir auf, daß sie auch als solche aussagekräftig sind. Es war, als ob unzählige Leute im Zimmer wären. Es handelt sich um kulturelle Stereotypen, aber jedes Objekt berichtet von einer Person, einem gesellschaftlichen Tatbestand. Das finde ich wichtig in der Kunst.

Die Thematisierung der Geschlechter von Mann und Frau spielt in der Kunst der neunziger Jahre, zum Teil nach Ihrem Vorbild, eine zentrale Rolle.

Als ich vor mehr als zehn Jahren mit diesen Arbeiten hervortrat, sagten die Leute angewidert: „Das sieht ja aus wie feministische Kunst der siebziger Jahre!“ Die „documenta“-Arbeit mit dem Gartenhaus wurde dann wieder als „männliches Stereotyp“ eines „feministischen Künstlers“ wahrgenommen. Interessant wird Kunst dort, wo der Betrachter sich fragt, was für eine Person das wohl angefertigt haben kann: ein Mann, eine Frau, ein Kind, ein Künstler, ein Nicht-Künstler?

Ihr künstlerisches Denken dreht sich um die Identität, oder besser die Nicht-Identität im heutigen Leben?

Es gibt einen Film mit dem Titel „The Stepfather“ (Der Stiefvater), in dem der Titelheld durchdreht, die Familie ausrottet und eine neue Identität annimmt. Sein ganzes Handeln scheint Vorstellung der Identität des Individuums, ja der Wirklichkeit ist vorgefertigt und deshalb kann die Welt ihm auch niemals Befriedigung verschaffen. Er muß immerfort eine Familie töten und sich eine neue suchen. In den Skulpturen der letzten Jahre habe ich diese Form unmöglicher Identität untersucht. 

Diese Skulpturen traten als „falsche“ Heimwerkerprodukte auf. Appelierten Sie nicht auch für eine Art „Rückkehr zum Handwerk“?

Handwerk wurde häufig als eine Möglichkeit für Menschen in der Industriegesellschaft betrieben, der Entfremdung zu entgehen und sich ein kleines Reich ganz persönlicher Dinge zu erschaffen. Das geht heute nicht mehr. Es sind nur noch Trugbilder der Identität: wir können nur verschiedene Leute mit unterschiedlichen Interessen sein. So sind auch diese Skulpturen. Es gibt da eine „Orgon-Box“ nach Wilhelm Reich, von einem Handbuch der Wilhelm Reich-Stiftung ausgehend gebaut: Anleitung zum Selbstbauen einer „Orgon-Box“. Es gab eine Klistierbank, gefertigt mit Serienteilen wie einem Pissoir und Schläuchen ausgehend von Ratschlägen der „Bewegung für gesunde Verdauung“. Einen Raum für Embryonaltherapie, wie ihn sich ein etwas bizarrer Heimwerker in einen durchschnittlichen amerikanischen Hausgarten stellen kann. Ein riesiges Brotschneidebrett. Eine Baustellentoilette mit nach außen gerichteter Lautsprecheranlage usw. Erst allmählich stellte ich fest, daß sich alle diese Objekte um die Befreiung von Energie und verschiedenen Strömen drehen, nicht nur um anonymes postmodernes Handwerk. Man kann sie auch als Modelle der verschiedenen Ideologien der Konsumgesellschaft sehen, als Porträts der verschiedenen Charaktere des nicht-identitären Menschen.

Eine zeitgenössische Version von Rodins „Bürger von Calais“. Sie fällen jedoch kein Werturteil über die verschiedenen Ideologien und Illusionen des heutigen Menschen?

Das ist nicht meine Aufgabe als Künstler. Es hat ohnedies jeder Einzelne eine ganz bestimmte Meinung über diese oder jene Idee und die verschiedenen Ideologien im heutigen Alltag. Wenn der Künstler hier noch seine eigene Meinung hinzufügen würde, wäre das mehr als überflüssig. Er kann aber mit diesen Konventionen arbeiten, diese Strömungen, Moden und „Ideen“ des postmodernen Alltags als plastisches Material behandeln und zeigen, welche metaphorischen Verbindungen sie besitzen und was das Wesen der Identität ist, die sie zulassen. Darum dreht sich mein Werk.

(Textfassung: Robert Fleck; publiziert in: Der Standard, 12.09.1995, S. 12)

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