KünstlerInnenporträts 52

Auszug aus einem Gespräch mit Lawrence Weiner

Die Sprache bildet seit langem das Medium Ihrer Arbeiten, die Sie als Skulpturen bezeichnen. Die Orte an denen diese Skulpturen sichtbar werden, sind sehr verschieden: das kann u.a. ein Blatt Papier, die Wand einer Galerie oder der öffentliche Raum sein, wie beispielsweise bei Ihrer Wiener Arbeit am Flakturm. Sind die Tätowierungen, die Sie tragen auch in diesem Zusammenhang zu sehen?

Ich sehe die Arbeit am Flakturm genauso als öffentliche Skulptur wie ein Abzeichen oder ein T-Shirt, auf dem etwas steht und das jemand trägt oder eben die erwähnten Tätowierungen. Es bedeutet in jedem Fall, eine bestimmte Information öffentlich zu präsentieren . Man sollte nicht vergessen, daß jeder Strich, den jemand zieht, eine Form von Sprache ist; er ist ein Versuch, mit anderen zu kommunizieren. Kunst wird von Leuten für andere Leute gemacht, d. h. sie ist im Grunde eine sehr soziale Aktivität. Sie können also einen Sticker tragen und damit auf die Straße oder in ein Rock Konzert gehen oder ein Plakat mit der Aufschrift „Gegen Rassismus“ oder mit irgendetwas anderem zeigen, sie errichten damit eine öffentliche Skulptur. Meine eigenen Tätowierungen sollen allerdings nichts mit Kunst zu tun haben. Bei dieser Tätowierung ist ziemlich offensichtlich, wofür sie steht: Im Grunde halte ich mich immer noch für einen amerikanischen Sozialisten aus der Arbeiterklasse, auch wenn ich vielleicht ein etwas eigentümlicher Sozialist bin.

Sie haben sich am Anfang auch mit Malerei beschäftigt, genauer gesagt damit experimentiert, indem Sie zB. andere Personen an der Bildherstellung beteiligten und damit die Vorstellung vom Künstler als autonomes Subjekt relativierten.

Der Punkt ist, daß ich Anfang der 60er Jahre, als ich die ersten Möglichkeiten erhielt auszustellen bemerkte, daß da irgend etwas falsch war in der Art wie die Leute Kunst betrachteten: Es gab dieses Vertrauen darauf, daß ein Kunstwerk deshalb etwas Spezielles sei, weil die Person die es gemacht hatte, für etwas Besonderes gehalten wurde. Nun mag das Werk zwar außergewöhnlich sein, dadurch wird aber die Person nicht außergewöhnlich. Ich fing also an zu begreifen, daß solange dabei ein springender Punkt getroffen wird, es nicht viel Unterschied macht, ob der Künstler das Werk selbst gemacht hat oder jemand anderer oder ob jemand einem anderen bloß davon erzählt hat.

Dadurch wird auch die Bedeutung der materiellen Ausführung eines Werkes zugunsten der sprachlichen Formulierung des zugrundeliegenden Prinzips verschoben. Diese Verlagerung ist ein wichtiger Aspekt der „Konzeptkunst“ der 60er Jahre, die Sie wesentlich mitgeprägt haben.

Aber „konzeptionell“ bedeutet eine Beleidigung der anderen Künstler. Denn das würde heißen, daß jemand der ein Bild oder eine Skulptur macht, keine Ahnung davon hat, was er da tut. Und es ist ziemlich schwierig, Holz kaufen zu gehen, die Leinwand zu spannen, Farbe zu kaufen und zu mischen und ein Bild zu machen, ohne zu wissen, was man tut. „Konzeptkunst“ ist also eigentlich eine falsche Bezeichnung, die in Wirklichkeit nur auf drei oder vier Künstler der Generation paßt, über die wir reden. Die haben ihre Kunst „Konzeptkunst“ genannt und wollten, daß es „Konzeptkunst“ ist. Es war übrigens Henry Flynt, der den Begriff „Konzeptkunst“ geprägt hat und nicht einer der vielen Schulmeister, die da herumrennen.

Gibt es einen Unterschied zwischen der Präsentation des „Konzepts“ einer Arbeit, z. B. in einer Galerie und deren „Ausführung“, z.B. auf dem Flakturm?

Es ist beides dasselbe, denn es hat denselben Inhalt. Man akzeptiert dabei die Restriktionen, die einem durch eine Galerie gesetzt werden. Ich ziehe meistens kommerzielle Galerien gegenüber Museen vor, wenn es um zeitgenössische Kunst geht, denn das Publikum kann direkt von der Straße in einen Raum kommen und sich dort umschauen. Die Leute können etwas finden, es für sich nutzen und wenn nicht, so können sie machen was sie wollen, sie können lachen oder einfach gehen. Eine Galerie hat keine Autorität, sie ist eine Boutique, ein Souc, einfach ein Ort, an dem Leute die etwas machen ihre Sachen ausbreiten um zu versuchen, sie zu verkaufen. Wenn hingegen jemand in ein Museum oder eine Kunsthalle kommt, glauben sogar Leute aus der Kunstwelt, daß dort eine Form von Autorität herrscht. Nur wessen Autorität? Ich dachte immer, Kunst zu machen hieße sich zu fragen was eigentlich vor sich geht und daß Künstler Kunst produzierten, weil sie unzufrieden sind mit der Gestaltung der Welt, wie sie sie wahrnehmen. Und anstatt die Rolle eines falschen Propheten oder eines falschen Politikers zu übernehmen, würden sie der Welt eine andere Realität präsentieren, von der sie hoffen, daß sie die Ansichten über die Welt ändern könnte. Wenn man aber mit der Autorität einer Kultur auftritt und zugleich in Anspruch nimmt, nicht an sie zu glauben, so ist das genauso als würde man versuchen die Menschenrechte zu verbessern um sich dann an irgendwelche Reaktionäre zu wenden, in der Hoffnung sie würden einen deshalb lieben. Was Künstler daher lernen müssen ist, die Dinge zu tun ohne dafür von den Menschen geliebt zu werden, die sie hassen.

Ihr Werk wendet sich an einen Betrachter, der dieses Werk durch seine Wahrnehmungen, Assoziationen und Interpretationen auf je eigene Weise aktualisiert und konstituiert. Daneben gibt es noch andere Formen der Zusammenarbeit nämlich die mit Künstlerkollegen der unterschiedlichsten Sparten. Welchen Stellenwert besitzt diese Arbeitsform für Sie?

Ich bin es gewohnt für ein „Projekt“ mit einer Gruppe von Leuten zusammen zu arbeiten, ohne deshalb meine Individualität aufzugeben. Ich habe einige Fähigkeiten und auch die Anderen und deshalb versucht man eine gemeinsame Sache. Meine Funktion ist dabei einen Weg zu finden, meine Inhalte so zu präsentieren, daß jeder der damit konfrontiert wird sich seine eigene Meinung darüber bilden kann, ohne meine moralischen Standards akzeptieren zu müssen. Es ist normal für mich in Gruppen zu arbeiten, aber nur möglich, weil jeder Einzelne der Gruppe, mit der ich arbeite, fähig ist jederzeit seinen eigenen Weg zu gehen. Es ist wie bei Musikern: die kommen zusammen, machen eine Aufnahme und irgend etwas kommt dann dabei heraus. Und das bedeutet auch nicht, daß Willy Nelson Charly Parker ist.

(Textfassung: Christian Muhr; publiziert in: Der Standard, 16.07.1996, S. 20)

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