KünstlerInnenporträts 87

Gespräch mit Bruno Gironcoli

Edelbert Köb: Sie kommen von der Bildhauerei, Sie haben eine Lehre als Goldschmied gemacht .

Bruno Gironcoli: Ja, nicht nur als Goldschmied, sondern weit mehr. Ich war in einem Betrieb, der sehr verschiedene Metallarbeiten machte: einerseits Eisenarbeit, dann zum Großteil Kupfer- und Messingarbeiten. Der minimalste Teil dabei war das sogenannte Goldschmieden, das dort gar nicht so in meine Kompetenz fiel. Ich habe lediglich das Muß als Goldschmied gemacht, damit ich zum Schluß der Lehre eine Prüfung ablegen kann. Aber mein hauptsächlicher Einsatz in der kleinen Firma war eben bei der Metallarbeit, „Buntmetallverarbeitung“ wie es so schön fachmännisch heißt. Und was Sie vorhin sagten, daß meine Arbeit in einem gewissen Maß zeitgemäß erscheint, aber zugleich unzeitgemäß ist, ungleichzeitig mit den von mir auch beobachteten künstlerischen Äußerungen, wie sie rundum meine Perspektiven passieren. Es gibt Dinge die mich sehr überraschen und mit Neugierde erfüllen, die in einer ganz anderen Form modern sind als meine Arbeit. Meine Arbeit ist eigentlich eine naive Arbeit, die nach Jahrhundertwende-Kriterien vorgeht. Wohl nicht am Anfang. Am Anfang war ich sehr fasziniert, in einer Welt arbeiten zu dürfen, die sich plötzlich in allen Kunstgattungen verändert, ja auch in der Bildhauerei andere Maßstäbe sucht. In dieser Zeit habe ich eben auch Gegenstände gemacht, die den Versuch unternommen haben, das eigentliche Bildhaueraussehen von Arbeiten zu überschreiten. Es gab wohl diese ganz modernen und kühn vorschreitenden Menschen mit Arbeiten, die schon vieles vorweggenommen haben. Aber immerhin, wenn ich daran denke, daß ich einen aus Kunststoff gefertigten Winkel, der nur platt war und zwei Elektroanschlüsse hatte als Skulptur bezeichnen durfte, war das für mich schon ein Schritt, der für meine damalige hormonelle Situation interessant war.

EK: Kann ich noch ein bißchen früher einsetzen? Könnte man sagen, daß der erste wichtige Impuls, der für Sie aus der Kunst gekommen ist, Giacometti war? Sie waren 1961 in Paris.

BG: Ja, ich war nicht wegen Giacometti in Paris, sondern weil ich die Impressionisten über alles liebte, und das ganz biedere Ansinnen hatte, diese Impressionisten in ihrer Fülle zu sehen, was ja heute noch teilweise in den Museen von Paris möglich ist. Durch meine Sehnsüchte habe ich natürlich schon eine gewisse Ahnung von der Moderne gehabt. Da waren eben unsere surrealistischen Darsteller und einige expressionistische Darsteller. Das fand ich recht und gut, aber ich war instinktiv auf mehr aus, auf eine größere Fülle von Wagnissen. Auch diese Wahl war eben begleitet von einer Biederkeit, die bei mir immer wieder auftaucht. Eigentlich wollte ich auch die Impressionisten sehen, so dachte ich das.

EK: Aber kann man vielleicht sagen, daß es einen Bruch gegeben hat Mitte der 60er Jahre, als Sie die ersten Polyesterarbeiten gemacht haben? Vorher haben Sie sich auf sehr handwerkliche Weise mit Naturstudien beschäftigt, Sie haben die Drahtplastiken gemacht, bei denen ich – vielleicht ist es eine falsche Interpretation – Einfluß von Schlemmer sehen könnte.

BG: Nein. Der Schlemmer hat . Wissen Sie, das Schulmäßige. Ich war an der Angwandten und dort hatte ich einen ganz lieben Professor, den Bäumer, der mir vieles über das Expressionistische erzählt hat und uns, den jungen Leuten, ja sicherlich auch den Schlemmer sehr erklärt hat. So haben wir auch durch ihn und durch unser eigenes Suchen und Schauen solche Ästhetik kennen und auch mögen gelernt. Ich bin aber eigentlich nie von der Arbeit Schlemmers auf meine eigene Arbeit gekommen. Es war wohl eine Person immer als starker Einfluß maßgeblich, und das war Herr Giacometti. Da war einerseits sein Weltbild, seine Art den Menschen zu sehen, das war inspirierend und unnachahmlich. Das Gleichzeitige seiner Arbeit mit der Naturdarstellung war für mich das Faszinierende. Dort konnte ich einsetzen. Sein Wagnis, dieses Denken und Schauen seiner damaligen – auch heute noch – zeitgemäßen Form. Dieses Formulieren der einen Seite mit der Verbindung zur Naturstudie, das war ein faszinierender Moment, der mich wirklich beeinflußt hat, obzwar ich schon ein sehr ältliches Kind war, als ich diese Überlegungen gemacht, und diese Arbeit kennengelernt habe. Da einzusetzen, dachte ich mir, könnte das bringen, was mir abgegangen ist. Ich hatte auch noch andere Ideale – das war ja meine Einfachheit, meine ländliche – eine einfache handwerkliche Arbeit könnte helfen, um künstlerischen Äußerungen näher zu kommen. Und diese Sache des Giacometti, daß er die Zeit damit verbracht hat, ein Modell so zu zeichnen, daß es einerseits der Natur näher und näher kommt und andererseits eben auch seine Meinung über diese Welt mitträgt, das war faszinierend. Deshalb habe ich eben auch versucht die Naturstudie zu betreiben, um eine Tagesleistung zu bringen, in der ich mein damaliges Glück zu bekommen meinte. Das waren diese falschen Überlegungen, die damals gepaßt haben und eine jugendliche Torheit waren.

EK: Könnte man auch sagen, daß Sie über das Werk hinaus einfach auch die Radikalität und Totalität seiner künstlerischen Existenz, beeindruckt haben, diese Ausschließlichkeit eines künstlerischen Lebens?

BG: Ohne Zweifel, ich habe Ihnen ja vorhin gesagt, daß es mein Ideal wäre, fortlaufend hinter einer Arbeit her zu sein, die Moderne Kunst einerseits heißt und auf der anderen Seite vielleicht Bildhauerei oder Zeichnerei ist. Ein Trugschluß, aber diese Idee, wollte ich verfolgen. Ich wollte einfach auch in eine Ausschließlichkeit geraten, die mir als Reiz- und Rauschmittel erschien gegenüber einer Welt, die ich eben in meiner Lehre., ich habe ganz, ganz trübe Seiten als Jugendlicher erlebt, sehr erniedrigende Momente und deshalb kein rosarotes Weltbild bekommen. Ich war schon sehr früh abgeklärt und ernüchtert und dachte durch ein „Sich-Hingeben“ in eine Beflissenheit, so wie Beten in das Transzendente führt, so könnte man das auch versuchen. Es war ja nur ein Versuch. Ich bin ja sowieso, weil ich jemand ganz anderer bin, daran gescheitert. An der eigentlichen Idee eben an etwas, das wie eine „Bet-Kette“ immer weiterläuft und Beschäftigung, Bilden von Dingen innerhalb der Beschäftigung, bedeutet, so daß die Dinge damals – das war das einzig moderne meiner Ansicht nach, diese Arbeitsmethode – daß die Dinge gar kein Gesicht bekommen. Ich war ja nur verbissen darin, daß ich mein Vorbild erreichen wollte. Hätte ich das nicht gehabt, wäre ich eigentlich ganz modern gewesen. 

EK: Könnte man sagen, daß sich der eigentliche Gironcoli 1964 mit den Polyesterarbeiten zum ersten Mal gezeigt hat?

BG: Na ja, in einem gewissen Maß glaube ich schon. (.) Mir ist es ja in dieser Zeichnung auch darum gegangen, mittels Zeichnen, und da war eben ein Trugschluß. Giacometti hat sich ein Material ausgesucht, den Lehm, der rasend schwierig zu bearbeiten ist. Ich meine jetzt nicht, den Widerstand, des Materials, es ist ja weich und ein Patzen eben und gerade eben das Weiche und die Patzenhaftigkeit lassen ihn zu einem äußerst schwierigen Material werden, das zur Nachbildung große Mühe braucht. Diese Sache, die der Giacometti für sich so perfektioniert hat, daß er Zeichnung und Werkstück in Eines führen konnte, und das Interesse der Zeichnung auf das Werkstück, die Plastik, übergegangen ist, das habe ich wohl beobachtet und wollte dem gleichsetzten, aber ich habe nie Modellieren mögen. Der Ton war es, den ich einfach nicht bearbeiten konnte. Alle Werke, die modelliert waren, waren mir ein Grauen und aus für mich fürchterlichen Zeiten. Deshalb habe ich schon sehr früh andere Materialien ausgesucht, Holzlatten, Plastikstücke, Nylons, durch Überlegung – nicht, weil ich so spontan bin und nach dem erst Besten greife – sondern die Überlegungen waren, daß ich Materialkategorien um mich, die neu sind, verwenden könnte, um eine Skulptur zu machen, die sich in ihrer Zeit zumindest durch die Wahl der Materialform wiederfindet. Ich habe die Materialkategorien aber dann wieder um ihre Modernität gebracht, indem ich sie in bestimmte Formen führte. Da war wieder die Restriktion des konservativen Denkens, daß ich das Material nicht sprechen lassen darf. Denn dann würde es sich als Dynamisches zeigen und meine Erwartungen überschreiten und selbständig eine viel größere Dimension bekommen, als durch meine kleinliche, pitzelige Betrachtung damals. So haben sich eben aus dem Versuch des Zeichnens eine Reihe von Skulpturen ergeben. Ich habe diese eine große Reliefsache aus Draht – die den Anfang für diese Portraitzeichnungen machte, (.) bei der mir die damalige Ehefrau Modell gesessen ist – diesen Kopf habe ich in Draht gefügt und dachte, darin ein System entwickeln zu können. (.) Ich habe nach dem Kopfzeichnen (.) nur noch Varianten gemacht und dann habe ich aufgehört, denn dazu war ich mir zu jung, um einfach nur etwas zu variieren. Meine Idee war eine etwas andere. (.) Ich wollte einfach nach den Vorstellungen des Naturbildes zeitfüllend beschäftigt sein durch eine Art des Tuns, die sich Skulptur nennt.

EK: Ich war aber eigentlich schon einen Schritt weiter bei den Polyesterplastiken von 1964. (.) Ich erinnere mich, daß ich die erste Ausstellung von Polyester-Arbeiten als Student gesehen habe, in der Galerie nächst St. Stephan. Während sich Ihre Arbeit vorher im Rahmen dessen bewegt hat, was mir sozusagen bekannt war, was auch vielleicht den eigenen bildhauerischen Arbeiten und Überlegungen ähnlich war, war das für mich damals eine Überraschung und ein Schock. Es gab auch in Wien wenig Information über internationale Bildhauerei und es würde mich interessieren, wie es zu diesem Schritt gekommen ist.

BG: Ich werde Ihnen das erklären. Deshalb setze ich soviel Gespräch genau über diesen Reliefkopf voraus, von dem es eben nur ein Stück gibt, von dem ich dachte, daß ich darin ruhend meditieren und weitere Exemplare machen könnte, die alle anders sind und doch in einer Methodik. Das alles hat meine Hoffnungen enttäuscht. Es war einfach nach dem einen Stück genug, – ich habe noch zwei oder drei andere gemacht – ich konnte das nicht erweitern. Es wäre nur zurückgefallen und nicht die Erweiterung geworden, nach der ich mich gesehnt hatte. (.) Nach den Zeichnungen habe ich plötzlich eine rasende Leere empfunden, denn meine Stilmittel und das bißchen, das ich mir erarbeitet habe, schienen in sich zusammenzubrechen. Ich habe mir gedacht, wenn das, was ich da will, in Drahtgeflecht nicht geht, greife ich einfach zu Metall und versuche aus Metall noch einmal einen Kopf zu machen. Das habe ich auch getan. Den habe ich heute noch, diesen Kopf. Der ist aus Aluminium gebildet und ist schon etwas Abgehobenes an der Wand, so ein ganz in sich geschlossenes Objekt. (.) Ich habe diesen Kopf schon an die Wand gegeben, um ihn nicht im Raum stehen zu lassen. Ich habe ihn wie ein Amulett von der Wand hängend gezeigt. Auch der erste Aluminiumkopf war so. (.) Dann habe ich mich in dieser Thematik weiter umgeschaut und gesehen, daß eigentlich dieser Aluminiumkopf dafür, daß er da als Amulett an der Wand hängt einfach viel zu grob in Metall gefaßt ist. Es war einfach so ein Klumpen Aluminium an der Wand. Diese Gewichtigkeit des Materials hat mich gestört, und ich habe nach leichteren Metallkategorien gesucht. Ich habe zuerst versucht noch einmal einen Kopf zu machen aus den Formen, Kontext und Code des vorhergehenden Kopfes, dann habe ich ihn aus Pappendeckel gemacht. Nachdem Pappendeckel ja eigentlich flach ist und sehr schwer bearbeitbar, habe ich nur wenig an verändernder Bearbeitung leisten können. Ich habe aus der Fläche des Pappendeckels irgendwelche Umrisse schneiden können und, um diese Umrisse zu wölben, habe ich ihn biegen und heften müssen. Ich habe aber aus drei Teilen eine Hohlform gebildet, die der Aluminiumform relativ ähnlich war, die mir aber, nachdem sie fertig war – denn es war noch grober Pappendeckel, der mir als Hohlform und wie er jetzt da war, obwohl er sehr genau bearbeitet war – nicht gefallen hat. Dann habe ich ihn silbern lackiert, wie das Aluminium. Trotzdem habe ich an dem Pappendeckel schon etwas beobachtet und das ist, daß plötzlich das Material der Wand gleichkam, im Gewicht, im Nullwert, im geringen Wert des Materials. Ich möchte nochmals vorausschicken, ich habe damals durch das Geschenk der Gemeinde Wien in einem Gemeindebau gewohnt und die waren alle so karg und schäbig, daß das Material aus dem sie bestanden haben in seiner Schäbigkeit durchaus auf mich gewirkt hat, und ich, nachdem ich in so einem Umfeld gewohnt habe, nichts qualitativ Besseres leisten mochte und konnte. Dieser Aluminiumkopf an der Wand war mir schon viel zu edel und gewichtig, aber der Pappendeckelkopf an der Wand hat mir plötzlich getaugt. Dieser Pappendeckel, dieser Hohlkörper an der Wand war eine Identität, die die gesellschaftliche Ebene, in der ich war, reproduzierte: Meine Schäbigkeit, die Schäbigkeit des Gegenstandes, ein bißchen verschönt durch Silberfarbe und die schäbige Wand einer armen Behausung. (.) Nachdem ich diese Figur gemacht habe, habe ich ein bißchen Zuneigung zu dieser Form bekommen. Sie hat mich plötzlich fasziniert und ich habe nach einem Material gesucht, daß mir schon lange als Arbeitsmaterial vorgeschwebt ist. Aber das ist für einen Einzelnen, der nicht Massenware produziert, nicht verwendbar. Alle diese Formen von Plastik, die man in den Diskontläden sieht, die damals mein Milieuumgang waren – heute auch noch – aber damals war ich integrierter. Als proletarisch denkender Mann habe ich mich in diesem Umfeld wohl gefühlt, das war meine Heimat. Mit der Masse gehen, das hat mir gefallen. Ich habe so einen eigenen Pathos gehabt, der mir irgendwie geschadet hat. Da hatte ich eben (.) die Idee – daß ich in meiner Lage, für meinesgleichen, doch eine Figur (.) nur eben in dieser flächigen Art – daß ich das in diesem Billigprodukt leisten könnte, um es zu verteilen zum Beispiel. Aber ich war eigentlich schon mit dem Ästhetischen des Gegenstandes zufrieden, daß heißt ich habe eben nach dieser ersten Pappendeckelform einen Grundstoff gefunden, der nicht mehr das war, was ich wollte. Ich wollte diesen glasigen, diesigen, teilweise rosaroten Kunststoffplastik oder Nylon, das zum Flaschenmachen und für andere Gerätschaften verwendet wird. Ein biegsames Material, so etwa wie Käse oder Wachs schaut das aus. Das wollte ich dafür verwenden, (.) aber da kostet eben schon so ein Parfumflascherl 80.000 Schilling. (.) Also war meine soziale Idee, die Menschen mit meiner einfachen Form zu beglücken, aus diesem Material nicht zu machen, und ich habe mich eben als Ersatz an Polyester gewöhnt, woraus ich eine bildhauerische Arbeit in einer Materialform machen konnte, die noch wenig verwendet wurde. Erst später als Reaktion auf meine Ausstellung in der Galerie nächst St. Stephan, sind einzelne Künstler zu mir gekommen, etwa wie der Wander-Bertoni und haben gesagt: „Du, ich habe Plastik auch schon lange verwendet.“ Das hat er mir auch gezeigt, was da Plastik sei und es hat gestimmt. Auch andere Bildhauer hatten die Idee, aber meine Idee war eben, etwas zu machen, das aus einem billigen Werkstoff ist und eine Form, die diesen billigen Werkstoff verschönt. (.) Dem bin ich in meiner jetzigen Arbeit, viel näher als früher. (.) Um das humane Tor meiner damaligen Anschauungen zu finden und auch durch dieses Tor hineingehen zu können, war mir die Schäbigkeit des Materials das Wichtige, die reduzierte, schäbige Form, von der man sagt: „Oje, was soll denn das sein?“

EK: Also war es anfangs noch nicht als Übergangsmaterial gedacht, für eine spätere Umsetzung in ein anderes Material, wie der konventionell, bildhauerische Vorgang ist, sondern Sie wollten das Material als solches mit seinen Ausdruckswerten verwenden.

BG: Ja, aber auf die Quantität hatte ich es immer abgesehen. Ich war damals so marxistisch durchsetzt, daß ich nur an die anderen denken konnte. [Lacht]. Das war ja lieb von mir, nicht? Und ich bin gescheitert, das ist nicht machbar gewesen die ganze Angelegenheit. Aber das war ein Teil meiner Skulptur, das will ich schon mitbemessen haben, das, was heute das verteilbare Bild ist, das eben allen zuteil wird. (.)

EK: Sind also damals mit dem neuen Material auch neue Inhalte gekommen und eine neue formale Sprache, könnte man das sagen? (.)

BG: Am Anfang war das schon so etwas, was mich ja auch erschreckt hat. In diesen Drahtarbeiten war immer noch das Abbild nach der Natur enthalten, aber so sehr ich mich bemüht habe, in das Plastik konnte ich einfach keine Fratze hineinschneiden. Das war immer Plastik oder ich hätte es eben entfremden können, also dem Plastik den Sinn nehmen und hätte es so verformen können, daß es etwas anderes geworden wäre Aber mir ging es genau darum, um die Symbiose dieses Werkstoffes mit seiner möglichen Form, darum, für mich als Bildhauer, eine Form zu finden, die wohl einen anderen Werkstoff hat, aber durch die Form und den Werkstoff in eine Gesprächsebene führt, die mir selber fremd war. Ich war sehr erschrocken, ich will mich ja nicht leidend hinstellen, aber ich hatte starke Depressionen und habe mich sehr bemitleidet wie schlecht es mir geht, weil ich gezwungen bin, mit etwas fortzufahren, obwohl es andere Künstler so leicht haben und einfach ein konkretes Bild malen oder ein abstraktes Bild. Ich muß akkurat so etwas Schäbiges beibehalten und habe durch die Tyrannei des Materials, so wenige Möglichkeiten. Aber ganz so eine Tyrannei war es nicht, ich habe dann nach diesen ersten Figuren – die immer Köpfe waren, es gibt so zwei, drei Formen – wieder in Gips gearbeitet, um ein bißchen für mich auf den Boden zu kommen, um diese neue Arbeitsmöglichkeit auf eine ausdehnbare Weise zu untersuchen. Ich habe mit Gipsformen Modelle gemacht, die möglicherweise auch in Kunststoff ausführbar wären. Diese Modelle haben ja schon zurückgreifend auf Gips, ein bißchen das konservative Moment wieder zurückgeholt. Ich war eigentlich nicht undankbar darüber und hatte aber gleichzeitig die Formen, die ich verwenden werde, vorentwickelt. Ich konnte wieder mit Gewicht und Nicht-Gewicht, als Hohlraum oder Nicht-Hohlraum, alle Prinzipien weiter fortsetzen. Ich war dankbar, auch für das, denn diese Ebene des nur Plastischen . Ich wäre verhungert dabei oder schon viel früher impotent geworden. (.)

EK: Sie waren reduziert, diese Figurationen, so reduziert, daß es eigentlich kaum eine weitere Reduktion gegeben hätte.

BG: Einerseits keine weitere Reduktion und andererseits hätte das Ausweichen unweigerlich wieder in eine vorhergehende Kunstform geführt, eben in die, eine Figuration zu machen, die dann halt nur in Plastik gewesen wäre, verstehen Sie? Da ist eben der Unterschied zu den vorhergehenden Arbeiten. Nachdem ich einmal Blut gerochen habe, hat mich das schon interessiert: Was könnte ich machen? Wie könnte ich diese, anfangs so unangenehme Seite [lachend] weghalten und habe eben diese Gipsmodelle gemacht und sie ausgeführt, einzelne davon in Kunststoff, daraus ist eben nicht mehr der schweigsame Gironcoli, sondern der, sich durch Plaudereien helfende Gironcoli, geworden. Ich meine .

EK: Sie meinen in der nächsten Phase, da waren mehr hermetische, schweigsame, singuläre Objekte. Und dann ist es weiter gegangen hin zu Installationen, zu Kombinationen von Objekten.(.) Auch zu Inhalten, die eigentlich vorher nicht so da waren, wie Geburt, Tod, Sexualität, .

BG: Das war wiederum etwas anderes. Ja, ich war wieder ratlos, nachdem ich diese Form des Kunststoffes in Verbindung mit der Kopf-Idee erschöpft hatte, was sollte ich denn da noch machen? Das muß ich noch sagen, Köb. Auch diese dreieckige Sache, die wie ein Sarkophag dasteht, das war auch ein Kopf. Nur habe ich plötzlich gemerkt, daß ich mit diesen Mitteln, das „Tote“, habe ich es damals genannt, das „Unlebendige“ – da hat sich nichts getan an der Oberfläche, es war glatt und unangreifbar – daß ich das doch noch ein bißchen zum Klingen bringe und Formen entwickle, die schon irgendwo gesehen worden waren. Alle Leute haben gesagt: „Ein Sarkophag ist das.“ Ich wollte einen Kopf machen, aber nicht einen Sarkophag.

EK: Und die Objekte aus der Alltagswelt, wie Telefonhörer oder eine ausgedrückte Tube. Hat das eine Rolle gespielt?

BG: Das hat eine Rolle gespielt. Ich wollte das nicht nachmachen. Ein Telefon gefällt mir nicht, (.) sondern den Wert des Billiggerätes, den wollte ich erobern. Eine Skulptur so zu entwerten, daß immer noch diese marxistische Idee mitspielt. Ich wollte so unterschwellig sein. Ein Marxist macht nichts mehr, aber das wollte ich nicht. Ich wollte noch Marxist sein, aber gleichzeitig doch bourgeoise künstlerische Dinge treiben. Der Kompromiß war, diese Anpassung an die Gebrauchswelt, meine Phantasie war, daß ich einfach Skulpturen mache, die die Gebrauchswelt zeigen oder sind. (.)

EK: Und der nächste Schritt, der in Richtung Installation mit viel stärkerer Inhaltlichkeit gegangen ist? Man hat die Installation damals als „Versuchsanordnung“ bezeichnet, als „Folterkammern für Rituale des Schreckens und des Grauens“. Sie kennen alle diese Klischees.

BG: Ja, Herr Köb. Das resultiert wiederum aus dieser Kopfform. Nachdem ich keinen Kopf mehr machen konnte, habe ich als ersten Versuch, (.) wie ich mich äußern könnte, eine Schnitte Raum gemacht. Das war mein erster Winkel. Ich habe eine Schnitte Raum aus meinem Gemeindebau gemacht. Ich habe einen Teil der Wohnung verwendet als ein Größenmaß und habe das verwendet als die strikteste Form, die reduzierteste Form, die ich mir denken konnte, um Raum zu machen: Das ist der Winkel, nicht? (.) Diesen Winkel habe ich elektrifiziert, damit er wiederum auf den Gebrauchswert hinkommt, der mir immer vorschwebt. Ein Winkel nur aus Kunststoff hätte mir nicht getaugt, erst dann, als er besetzt war durch das, was für mich Wärme bedeutet hat. Auch wenn es ein Energieträger war, etwas ganz Fremdes, was ich nie hätte vorher verwenden wollen. (.) Was kann man denn mit einem Winkel anfangen? Da haben sie immer geschaut: „Ah, eine Steckdose.“ Aber so primitiv habe ich wirklich gearbeitet und habe in den Winkel zwei Steckdosen hineingegeben. Dann habe ich mir weitergedacht: „Na ja, im Raum sind auch Lampen“, und habe dann in der Steckdose ein Kabel gespannt und habe Töpfe daran gehängt. Das habe ich mir als Licht vorgestellt, da ist plötzlich so eine Topfreihe auch in dem Raum bindbar gewesen. Die ist in dem Winkel drinnen gesteckt, aber man konnte sie als Extremität des Raumes, des Winkels verwenden. Das habe ich als wichtig empfunden. Nachdem ich das gemacht hatte, habe ich eben angefangen für diesen Winkel verschiedenste Zusätze zu bauen. (.) Diese Lampe war ein Objekt, gleichwertig dem Winkel. Aber da habe ich schon wieder die Schwierigkeit gehabt: Ich will nichts, was weniger wert ist, als der Winkel und was weniger schräg ist als der Winkel. Ich will etwas, das dem gleichgesetzt wirkt, und habe Dinge versucht, denen ich Form gegeben habe. Aber es war immer eine Form, die an Dinge der Welt draußen erinnert hat, damit es nicht Abstrakte Kunst wird. Ich habe keine Aversion, ich habe gerne Abstrakte Kunst. Auch vor dem Gegenstand an sich, der ein Formguß ist, habe ich fürchterliche Angst.

EK: Aber eigenartig ist, daß Sie eigentlich immer von formalen Kriterien reden, und daß für den Betrachter die Inhalte einfach sehr stark wirken, zuerst auf die Emotion. Sie reden immer nur von der inneren Logik, der Entwicklung Ihres Werkes, von bildhauerischen Kriterien und sehr wenig von der Inhaltlichkeit. Sie sprechen auch sehr wenig vom Kunstkontext. Haben Sie sich damals in einem Kontext von Gegenwartskunst empfunden? Inwieweit spielt das überhaupt eine Rolle, für Ihre künstlerischen Überlegungen?

BG: Damals, ich meine, es hat in der Zeit zwischen dem Kopf und dem Winkel etwas gegeben, was mich wiederum sehr elektrisiert hat. Da hatte Harry Szeemann eine Ausstellung gemacht: „Wenn Form Kunst wird“, da habe ich den Katalog gesehen. Der hat mir bestätigt, daß ich nicht links und nicht rechts zu schauen brauche. Das, was da drinnen ist, bin ich ohnehin. Leute, die das Ordinäre als etwas sehen, daß die Verwendung des Ästhetischen mit sich bringt.

EK: Das heißt, es war eher so, daß was rings um Sie passiert ist, weniger Anregung für Sie war als Bestätigung dessen, was Sie gemacht haben?

BG: Ja, (.) Ich hatte keine Freunde. Ich habe wohl alle meine Freunde schon gekannt, aber hatte keinen Kontakt mit ihnen. Ich habe nie über das, was als zeitgemäß rundherum empfunden wurde, sprechen können. Ich habe nie etwas darüber gehört. Verstehen Sie, das paßt ja ganz zu mir und meinen vorhergehenden Absichten. Das hat noch etwas mit dem Kopfzeichnen zu tun, diese Abgetrenntheit und diese Abgesetztheit, weil ich etwas machen wollte, das aus meinem Bauch gewachsen, mich zu meditierenden Dingen bringt, und nicht zeitgemäße Kunst. Obwohl mich nichts anderes interessiert hätte als zeitgemäße Kunst. Alles andere habe ich als unangenehm empfunden. Hätte ich mich selber damals gesehen, wie ich heute arbeite, hätte ich „bouh“ gemacht. Das ist meine Form der Menschwerdung. Sehr alt, mit 24 habe ich erst gesellschaftlich denken gelernt, das heißt, da habe ich das erste Mal nach dieser Ausstellung eben, mit Freunden über meine Arbeit gesprochen. Was die dabei empfinden, habe ich dann gemerkt an ihren Antworten und so weiter.

EK: Sie haben damals mit sehr viel verschiedenen Materialien gearbeitet. Sie haben skulpturale Elemente mit Flüssigkeiten verbunden, Säuren, mit elektrischen Leitungen, mit Artefakten. Ich kann mich erinnern, daß es Installationen gegeben hat, mit Präparaten kombiniert etc. Sie haben in der Zeit sukzessive ein Repertoire, ein Arsenal von Motiven entwickelt.

BG: Das ist so, wie ich hier die Skulptur ausweiten mußte. Ich konnte ja nicht nur beim Winkel bleiben, sondern ich mußte mit diesen Hilfsgeräten irgendwohin weiterkommen. Ich meine, ich bin da ein sehr moderner Mensch gewesen. Ich weiß zwar nicht, was ich arbeite, aber bewegen muß ich mich trotzdem. Also so ungefähr nach dem Motto habe ich das betrieben.

EK: Es sind also Motive zusammengekommen, nicht? Aus der Alltagskultur, aus der Trivialkultur, aus dem Bereich des Kitsches und auch aus dem Bereich verschiedenster Symbole, wobei sie eine besondere Neigung gehabt haben, belastete Symbole, auch politisch und historisch belastete, zu verwenden.

BG: Die haben mir so gefallen, weil sie auch fast den Wert von Gebrauchsgegenständen haben, nicht?

EK: Ich meine auch diese Abnützung.

BG: Diese Abnützung hat mir gefallen dabei. Diese Gebrauchtheit, die doch der Einzelne – das naive Wesen, nicht ganz wahrnehmen kann, etwa wie ein Jesusbild für den Betenden eine Zwiesprache ist. Da ist es doch egal, ob das von Michelangelo gemalt ist oder von Herrn Pimperl.

EK: Können wir sagen, daß bis in die 70er Jahre oder eigentlich bis zu der Zeit, als Sie eine Berufung als Professor an die Akademie der Bildenden Künste in Wien bekommen haben, die Phase des Suchenden, des sich orientierenden Künstlers war, und daß durch die verschiedenen Veränderungen der Arbeitssituation eine Phase gekommen ist, in der sich das alles irgendwie gebündelt hat, die dann fast zu einer Explosion des Schaffens geführt hat?

BG: Na ja, die Explosion war wohl nach Mitteln und Möglichkeiten früher auch da. Ich meine, ich hatte mit meinem Taschengeld als Professor die Möglichkeit endlich die Dinge zu betreiben, die mir gefallen. Aber auf der einen Seite hätte ich sie gehabt, aber auf der anderen Seite war immer die Frage: Ich wollte nicht irgend etwas kaufen, sondern etwas Spezielles kaufen. Das zu erreichen, war dann schwierig. Damals schon haben die ganzen objekthaften Figurationen bestanden, ich meine das, was eigentlich auch ihr Wesen war, daß man etwas wegnehmen konnte und plötzlich (.) durch diesen Entzug das Stück wieder zu diesem ordinären Charakter zurückgeführt wird, aus dem es her kommt, also die Abstammung, so plötzlich wieder einfällt. Das hat mir lange Zeit sehr gefallen. Aber dann habe ich Bedenken bekommen, ich habe ganz spießige Wertbelege bekommen und habe mir gedacht: Ja mein Gott, wenn da jemand anderer. Da gab es einige Beispiele dafür. Ich hatte eine Einladung zu einer großen Ausstellung in Berlin, die der Ossi Oberhuber arrangiert hat. Dafür habe ich eine Figur von mir geliehen. Das war eine Metallplatte mit sieben Säulen und einem Balken, also Aluminium, an der die Säulen über dieser Metallplatte in einer gewissen Symmetrie einzuordnen waren. Das hat einen Sinn gehabt, daß die so stehen mußten. Es war ganz deutlich angezeigt, und dann waren noch – wie Sie sagen – andere Requisiten dabei. Es war ein Pupperl in Form einer Frau und zwar einer Frau, die sich die Hände vor ihre Scham hält. Alles total primitiv gemacht, so einfach wie möglich. Lediglich eben die Form, die ich zeigen wollte, wie sich diese Frau zeigt, sie war auch noch ansteckbar an die elektrische Leitung, um eben heiß zu werden. Da drinnen war ein Widerstand. Dieses Alp-Frauenbild habe ich darin gezeigt, einen Besen, einen Bartwisch, Bandagen und so weiter. Das hat der Ossi, weil der sich nicht ausgekannt hat, in Berlin irgendwie zusammengestellt. Ich habe die Fotos gesehen und wäre beinahe ohnmächtig geworden. Es hat mir so weh getan und ich habe daran plötzlich gemerkt, daß ich nicht alleine die Alltagsgegenstände abrunde, um sie zusammenzuführen, sondern daß da von mir etwas gewünscht ist, das aus der Objektzusammenführung eine ganz strikte Sache macht. Und es mußte mir gelingen, diese strikte Sache in eine Form zu bringen, die akkurat das aufzwingt, die „Podest-Skulptur“, wie wir sie so nennen wollen, die ich am Anfang beschrieben habe, die mir so schrecklich ist. Wenn ich erreichen wollte, daß ich unangenehme und unpassbare Formen entwickle und zusammenführe, wenn sie ein Stück sein sollten, mußte ich sie auf etwas geben. Sie konnten nicht mehr den Charakter des frei Arrangierbaren haben, sondern sie hatten plötzlich den Charakter der Stabilität: hier war ein Podest und auf dem ist unverrückbar das, was ich meine. (.) Ich war durch diese Fremddeutung einer meiner Arbeiten entsetzt darüber, daß nicht jeder sieht: das gehört so. Es war also meine Einbildung, daß das so gehört. Ich bilde mir immer noch ein, daß man ablesen könne, daß das organisch so zusammengeführt gehört und nicht anders. Wenn das andere Menschen nicht sehen, dann ist ja meine Arbeit wertlos, nicht? Wenn man das beliebig zusammenstellen kann, was brauche ich dann noch über Formen nachzudenken? (.)

EK: Wie gesagt ab 1977 hatte man, von außen gesehen, den Eindruck, daß die Quantität Ihres Schaffen zugenommen hat. Ist das jetzt nur auf die äußeren Arbeitsumstände und die glücklichen Lebensumstände und die besseren.

BG: Die soziale Änderung hat dazu geführt, daß ich einen Fluch, den ich einmal gemacht hatte, als ich Fabriksarbeiter war, daß ich alles geben würde, wenn ich aus diesem Umfeld komme Das war immer dieser Prügel hinter mir, daß, wenn man nur ein bißchen schwach ist, man sofort wieder auf eine solche Ebene zurückkommt. Ich habe durch diese neue Situation als sozial saturierter Mensch – ich meine, was ist schon saturiert? Das ist eben für meine Umstände eine soziale Sicherung gewesen. Ich konnte Formen entwickeln, die ich dann verworfen habe, weil sie in dieser Materialgattung zu einer anderen Bedeutung führen als ich sie will und so weiter. Das alles war sehr schön. Es gab auch Ängste. Ich war plötzlich als Person stringenter durch diese Akademie. Ich hatte plötzlich sogenanntes Verantwortungsbewußtsein. Ich konnte plötzlich nicht, da meine Arbeit auch pornographische Momente hatte, mit dem fortsetzen. Das hat sich einfach mit der kindlichen Betrachtung meiner Rolle, mit der Moral nicht vereinbaren lassen. In meinen Requisiten sind einfach Veränderungen des Sexuellen auch angestimmt gewesen.

EK: Sie haben aber doch nicht sagen wollen, daß sich jetzt Ihr Repertoire sozusagen jugendfrei gestaltete?

BG: Doch, ich wollte es jugendfrei gestalten. Einfach weil ich keine Angriffspunkte bieten wollte. Mir ist an der Bestellung als Professor deshalb etwas gelegen gewesen, weil ich wußte, daß ich so arbeiten kann. Ich habe vorher auch schon an Kunstmessen teilgenommen und habe mir diese Ebene auch ein bißchen angeschaut, und habe mir gesagt: Ich hätte nie die Kraft, mich dort durchzusetzen. Ich kann nicht einerseits wie ein zurückgezogener Mönch sein und andererseits gesellschaftlich so stark, daß das, was ich als zurückgezogener Mensch produziere, in einer lauten Gesellschaft gesehen oder anerkannt wird. Das braucht eben Mittler und .

EK: Kann man sagen, daß ab dieser Zeit Ihre Arbeitsintensität zugenommen hat? Normalerweise ist ja nach unserer Beobachtung bei Künstlern, die eine Professur annehmen, das Gegenteil der Fall? Sie haben mehr Verpflichtungen, weniger Zeit, natürlich auch weniger ökonomischen Druck. Bei Ihnen hat man aber das Gefühl, daß in dieser Zeit ein gewisser Schaffensdruck einsetzt. (.)

BG: Der Schaffensdruck war in vieler Form die Angst vor der Institution, in der ich plötzlich gebunden war. Ich durfte mich eben nicht mehr frei äußern, ich mußte sehen, was andere in dem Schulbereich leisten und mußte schauen, daß ich mit dieser Leistung als Leiter dieser Bildhauerschule gleichkomme. Meine modernen Geräte wären sehr schnell imitiert gewesen. Sie hätten sich schnell verbraucht durch die Studentenschaft und ich wäre ohne Ende dagestanden. Man sagt, ich habe eine Materialschlacht geführt, so wie sie der Zweite Weltkrieg war. Nachdem ich den Vorsprung des Kapitals ein bißchen in der Tasche hatte, habe ich Skulpturen gemacht, die jemand anderem schon vom Geld her nicht einfallen würden. Einfach, weil er das nicht hat. Ich habe es, und ich konnte das .

EK: Wem wollten Sie etwas beweisen? Sich? Der Institution? (.)

BG: Nein. Ich wollte niemandem etwas beweisen, sondern ich wollte, den von mir sehr verehrten Bereich, Bildhauerei, vor Zugriffen bewahren. Das war mein privates Leben sozusagen, das ich eingetauscht habe, um diesen Bereich, meinen Bereich der Bildhauerei, zu bewahren.

EK: Aber diese Arbeitsweise bringt Sie unter Druck, unter extreme Belastung, bringt auch finanzielle Belastungen .

BG: Ja, das bringt mich in eine schräge finanzielle Lage, das bringt mich gesundheitlich dorthin wo ich hingehöre, diese Abnützung ist Leben, ich weiß es ist so. Ich meine, ich lebe in diesem Bereich und komme nicht davon los.

EK: Was ist Ihr Ziel? Was ist das Ziel Ihres Werkes oder ist das Ziel einfach der Weg? Der Weg ist das Ziel?

BG: Der Weg ist das Ziel. Ich beobachte schon manchmal an meiner Arbeit irgendwelche formalen Entwicklungen, denen ich auch nachgehe. Die sehe ich voll Dankbarkeit und sie helfen mit, das was ich machen will, zu betreiben. Aber eigentlich ist es tatsächlich so, wie Sie sagen, daß das Handeln in einer so großen Welt, wie es die Bildhauerei ist, mich tatsächlich freut. Sie ist für mich die große Welt, etwas anderes habe ich nicht als große Welt, nicht?(.)

EK: In Ihrer frühen Arbeit ist es Ihnen doch, im klassisch bildhauerischen Sinn, oft darum gegangen zu reduzieren, einzuschränken, auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und jetzt scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein, daß es fast vegetabilisch auswuchert, daß Sie aufmachen, loslassen, freien Lauf lassen.

BG: Na ja, da ist einmal schon falsch, daß ich reduzieren wollte, bei den frühen Arbeiten, also einen Abstrahiervorgang habe ich nie beschritten. Es ging mir viel mehr darum, einen „Klang“ bezeichnen zu wollen. Ich habe so lange gearbeitet, bis der Klang da war, nicht? Es war keine Reduktionsarbeit rationaler Form, indem ich immer etwas wegnehme und wegnehme und dann ist es das. Nein, es war eine viel impulsivere Sache, es war mir viel mehr um das Klingen der Sache zu tun, als um das Reduzieren im abstrahierten Vorgang. Aber der Abstrahiervorgang, den ich in vielen künstlerischen Bereichen beobachtet habe, hat mir gar nicht getaugt. Und heute, . ja, ich kann darauf gar nichts sagen – ja, ja, es ist so, es tut so. Es tut sich so. Mehr kann ich dazu nicht sagen. (.)

EK: Ihre Skulpturen entstehen ein bißchen assoziativ. Haben Sie ein genaues Konzept für die großen Arbeiten?

BG: Na ja, ich bilde mir am Anfang ein: Das will ich so und so haben, dann fange ich an meine Eisen zu biegen und zu schmieden, meine Hölzer zuzurichten, und dann baue ich und baue ich und sehe dann, daß das Ergebnis im Gegensatz zu meiner Vorstellung schrecklich enttäuschend ist. Dann fange ich mit dem an, was ich die „Wirklichkeit“ nenne, die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, wie er, nach meiner Vernunft, ein richtiges Bild abgibt, und zwar wiederum natürlich so, daß Kreativität mitspielt. Also es tritt schon eine Zwiespältigkeit, eine gewisse Spontanität der Arbeit einfach im Sinne von vernünftigem Umformen, ein. Aber eigentlich bleibt vieles von dem Grundwesen erhalten. Nur der Takt, den ich dann später ergreife, reinigt. Das kann man ja nicht erklären, was „sich reinigen“ heißt. Es reinigt die Form als Gesamtes. Das ist ein Überarbeiten zur Reinigung der Form von Unmöglichkeiten, oder Erfindungen von Möglichkeiten, die das schon Vorgegebene erst genauer beschreiben, und dadurch aufwerten.

EK: Kann man sagen, daß es bei den letzten Arbeiten, die im MAK zu sehen sind, bei Ihnen eine neue Lust an der Bildhauerei gibt die vielleicht auch damit zusammenhängt, daß Sie doch mehr Freiheit in der Ausführung haben. Sie haben, glaube ich, inzwischen ein sehr gut eingespieltes Team, das Ihre Vorstellungen sehr direkt umsetzt?

BG: Das ist ein Phänomen, daß ich drei Arbeiter habe, drei polnische, mit denen ich gut zusammenarbeite. Ich meine, es sind meine Arbeiten zu einem Zeitpunkt der relativ kurz nach meiner Professurwerdung eingetreten ist, durch die Größen der Räume, in denen ich da arbeiten konnte berührt und verführt, immer größer geworden. Sie haben dann Größen erreicht, die ich alleine nicht mehr manipulieren konnte. Dann habe ich mir immer Hilfskräfte ausgeborgt oder ich habe den und jenen gebeten: „Helfen Sie mir doch das bitte schieben“, oder „helfen Sie mir das umdrehen“. Es wurde so schwierig, daß es alleine nicht mehr machbar war. Und dann habe ich mir Jobber eingeladen, also die habe ich betreut, aber die waren alle desinteressiert, die hat die Jobleistung und die Gegenleistung interessiert, daß sie so schnell wie möglich zu Geld kommen, aber nicht die Sache mit der sie befaßt sind. Sie haben nur die Hände geborgt, aber schlechte Hände haben sie geborgt. Und dann bin ich eben auf diese Polen gekommen und habe das erste Mal, nach fast 30 verschiedenen Arbeitern ein Echo gehabt. Die Leute hören zu und führen nahezu das aus, was ich will, was ich so und so beschreibe, händisch und gestisch, die können nicht Deutsch sprechen, und ich kann ja auch nicht Polnisch sprechen. Wir sind also auf die Deppen- und Taubenschrift verwiesen und trotzdem geht das wunderbar. Das sind Bäuerleins aus Polen, die auf ihrem Hof nach der russischen Methode, alles was kaputt ist, sich selber richten müssen, sonst ist es für immer kaputt. So haben sie verschiedenste Handwerksformen entwickelt: Sie können schweißen, feilen, löten, tischlern, hobeln – die können alles.

EK: Das heißt, Sie haben eigentlich mehrere verlängerte Arme. Sie haben ja fast eine Manufaktur. Führt das nicht auch zu einer gewissen Glätte? Zu einer gewissen Homogenität? Es ist weniger Sperrigkeit, es fließt alles mehr in der letzten Ausstellung, es ist die dekorative Schönheit.

BG: Die ist mir ein Anliegen.

EK: Sie nennen manchmal Skulpturen auch „Brosche“.

BG: Ja, ja. Ich will nicht nur kämpfen. Ich bin sehr müde. Schauen Sie, diese Arbeit mit der Scheibe ist mir nicht so gelungen, wie ich sie geträumt habe. Aber ich habe schon noch Ideen, denen ich nachjage, die ich aber nicht erreiche. Aber das war ja immer so. Ich muß sagen, ich habe die Scheu vor Dekorativem verloren. Es ist mir gleichwertig geworden, wie irgendeine schwierige Form. Es tut mir nichts, wenn ich sie verwende und gleichzeitig suche ich noch und trotzdem, im Allgemeinen bin ich natürlich schon abgearbeitet, das stimmt.

EK: Und wie sehen Sie die Bildhauerei, wenn Sie um sich blicken? Wenn Sie in Ihre Klasse schauen? Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, daß Sie auch Ihre Studenten, sagen wir einmal mit einer „exzessiven“ Bildhauerei, beinahe erdrücken?

BG: Nein.

EK: Es gibt nicht mehr viel Bildhauerei.

BG: Aber das ist nicht wegen mir, sondern weil die Leute draußen sehen, was sie interessiert – was ja ganz normal und gesund ist – daß sie Dinge betreiben, die sie sozusagen inspirieren. Der Meisterschulleiter kann nicht, in einem Jahrtausend in dem das Original so einen riesigen Wert hat, und alles andere keinen Wert hat, Leute nach dem Original arbeiten lassen. Das wäre mir schrecklich. Das ist das Letzte, was ich je anstreben würde. Daß die ihre Ideen von draußen bringen, ist ganz gut. Es gibt eben hier den Meisterschulleiter, der seine Arbeit betreibt. Ich betreibe sie absolut aus meiner Sicht in Konkurrenz zu den jungen Leuten, weil alle Requisiten, die ich verwende, immer wieder auch Gegenstände sind, die das offene Kunstschauen in sich tragen. Aber ich bin eben mit diesem schleppend schweren Material und der Materialistik des Bildhauers beschäftigt und kann nur durch die Verformung meiner Zeichen der Zeit nachgehen. Nachgehen kann ich, ich kann sie nicht werden, so wie die Neuen Medien es sind, daß sie gewordene Zeit sind, nicht? Und was die jungen Leute treiben, ist eben etwas, das sie beschäftigt, indem sie sich selbst finden. Das betreiben sie und ich habe eigentlich die Aufgabe helfend zu wirken, solange ich etwas vorfinde, das wie Bildhauerei ist, nicht?

(Wien, Juli 1997)

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