KünstlerInnenporträts 76

Gespräch mit James Rosenquist

Max Hollein: Meine erste Frage bezieht sich auf Ihr politisches Engagement und Ihr Interesse an politischen Fragen. Damit meine ich nicht nur Ihr Engagement in der Kunstwelt in Sachen Folgerecht. Ihr politisches Interesse zeigte sich in Ihrer Kunst bereits 1964, wenn nicht sogar noch früher, in dem sehr bedeutenden Werk „F-111“ und in der Folge in einer ganzen Reihe von Bildern, die in Wahljahren entstanden, „Star Thief“ und so weiter. 1992 war das bisher letzte Wahljahr, in dem Sie ein Gemälde schufen, das einen politischen Hintergrund hat. Woher rühren Ihr Interesse und Ihr Engagement in diesem Bereich, und wie betrachten Sie Ihre Rolle darin?

James Rosenquist: Es kam folgendermaßen. Ich verschenkte praktisch meine Kunst, wie Künstler das so machen. Es scheint so zu laufen, dass Künstler auftauchen, sich völlig verausgaben, eine Menge Sachen machen und dann wieder weg sind. Es gibt viele solcher Beispiele, etwa Bob Smithson, ein zeitgenössischer Künstler. Leute, denen ihre Kunst finanziell wenig eingebracht hat, wie zum Beispiel Vincent van Gogh. 1971 hatte ich einen schweren Autounfall. Da war ich 37 und hatte schon viel Berufserfahrung. Meine Arbeiten, die ich für 1000 Dollar verkauft hatte, oder für 1500 Dollar, oder für 250 Dollar, diese Arbeiten... Nun, nach diesem Unfall fing ich irgendwann wieder an zu malen. Das war 1972 oder 1973. Da kamen Kunstsammler zu mir ins Atelier und sagten: „Fantastisch, tolles Gemälde!“ Und gingen dann wieder. Sogar Dr. Ludwig tat das damals. Und dann kauften sie auf einer Auktion ein Bild für 45.000 Dollar, das ich für 4000 verkauft hatte, und das machte mich wütend. Und zwar, weil ich mittellos war. Ich hatte damals 60.000 Dollar Schulden. Da lernte ich Rubin Gorewitz kennen, ein sehr eigenartiger Mann. Er sagte: „Wir gründen gerade einen Verein für Künstlerrechte.“ Ich fragte, was das für Rechte seien. „Keine. Künstler haben keine Rechte.“ Ich ging also mit Bob Rauschenberg und Marian Javits nach Washington, und wir warben vor den Türen des Senats für ein Gesetz zum Folgerecht für Künstler. Der Vorschlag beinhaltete, dass man 15 Prozent am Weiterverkaufserlös erhält, wenn dieser mehr als 1000 Dollar betrug. Wir standen da und sprachen Senatoren und Abgeordnete an. Besser gesagt, Marian tat das und sagte: „Herr Senator, diese Herren möchten Sie sprechen.“ Da mussten Bob und ich schnell etwas sagen. Und Hubert Humphrey drehte sich um und sagte: „Ich unterstütze den Vorschlag.“ Wir hatten also die Unterstützung von Javits, Brademas, Hubert Humphrey, Claiborne Pell, Ed Koch...

MH: Sie haben also dort Eindruck gemacht.

JR: Nun, er wurde vom Senat verabschiedet. Aber nicht vom Repräsentantenhaus. Damals noch nicht.

MH: Und dann...

JR: Entschuldigung, ich muss erst mal in der Zeit zurückgehen. 1964 reiste ich durchs Land und besuchte Vergnügungsparks in Texas, wo ich große, veraltete Bomber sah. Meine Eltern waren 1931 Piloten gewesen, und ich habe mich schon immer für die Fliegerei interessiert. Ich habe vieles darüber gelernt, und aus diesen Eindrücken heraus entstand das Gemälde. Ich befasste mich mit peripherem Sehen. Das, was sich am Rand des Gesichtsfelds befindet, bestimmt dabei die Wahrnehmung. Das periphere Sehen gestaltet die Wirklichkeit. Zur gleichen Zeit stellte das Metropolitan Museum Gemälde aus dem 19. Jahrhundert aus, die auf dunkelrotem Hintergrund bis ganz weit oben aufgehängt waren. Wie sollte man denn die Gemälde vor diesem Hintergrund sehen können? Ich redete mit Barnett Newman darüber, was „Es“ ist. Für ihn war es ein Stock im Wasser im Hafen von Great Neck, Long Island. Das war „Es“ für ihn. Er redete immerzu von diesem „Es“. Dann sah ich ein Foto von Monet, der Gemälde in einem Kreis um sich herum gruppiert hatte, um das periphere Sehen zu aktivieren. Dann gab es noch Jackson Pollock, der große Formate auf dem Boden malte. Dabei bestimmte das periphere Sehen, was genau er sah. Ich wollte also ein Rundgemälde vom neuesten Jagdbomber anfertigen, der bereits veraltet war, obwohl er noch im Entwurf war. Ich glaube, da war er noch nicht produziert worden. In diesem Kontext des peripheren Sehens konnte ich all die Farben so gestalten, wie ich wollte, eben mithilfe des peripheren Sehens. Die Kunstkritik interpretierte es als Antikriegsgemälde, aber da steckte noch viel mehr dahinter. Es gab noch andere Dinge, die mich zu dem Gemälde motivierten. Oh, da wäre aber etwas, was doch mit dem Krieg zusammenhängt. Ich lernte den Reporter Paul Berg von der Zeitung „St. Louis Post Dispatch“ kennen. Er flog 1964 bei sieben Hubschraubereinsätzen in Vietnam mit. Er war Fotojournalist und veröffentlichte das Material in der Zeitung in St. Louis. Die Nachrichten erreichten die Leute unmittelbar. Er fotografierte auch mich mit meinem neuesten Werk für die Titelseite. Das war 1961. Da lernte ich ihn kennen. 1964 fotografierte er mich wieder für die Titelseite. Es war ein Foto von Roy Lichtenstein und mir für diese Sonntagszeitung. Das war ein Wahljahr. Und während der Wahljahre damals, in jenen Jahrzehnten, nahm sich Russland immer ein anderes Land vor. Die Künstler waren sehr optimistisch. Sie hofften auf Veränderung und einen besseren Präsidenten. Auf etwas Demokratischeres, Interessanteres. Doch im Laufe jenes Jahres wurde es immer schlimmer. Es kam mir vor, als hätte ich ein Klotz am Bein. Das regte mich zum Arbeiten an. Und genauso passierte es in dem folgenden Wahljahr, 1968. Da arbeitete ich für Eugene McCarthy, der dann zum Dichter im Fernsehen wurde. Und keiner will einen Dichter als Präsidenten. Also die meisten nicht. Ich wechselte zu Robert Kennedy, der dann aber ermordet wurde. Danach gab es noch mehr Attentate. Es war sehr deprimierend. In der Zeit fing ich ein komplett gegenstandsloses Gemälde an. Es hieß „Horse Blinders“. Und zwar, weil Carlo Derkert, der mit Pontus Hultén das Moderna Museet leitete und ein junger Marxist war, zu mir gesagt hatte: „Jim, schwierige Gemälde hängen wir nie links vom Eingang in einen Raum. Sie kommen auf die rechte Seite, denn wie du weißt, ist die linke immer weicher.“ Ich musste da an einen Kämpfer denken. An einen Boxer mit seinen Haken. Daher der Titel, „Scheuklappen“. Ich wollte Rechts und Links ausblenden. In der Anfangsphase war es abstrakt, doch im Laufe des Jahres wurde ich immer wütender und fügte Gegenstände hinzu. So hat mich dieses Wahljahr verändert.

MH: Würden Sie sagen, dass das Publikum das Politische immer nachvollziehen konnte?

JR: Das glaube ich nicht. Es spielte sich eher auf emotionaler Ebene ab.

MH: Also war es nicht so wichtig?

JR: In „Horse Blinders“ war es nicht so deutlich wie in „F-111“.

MH: Wahljahre sind für Sie offenbar bewegte Jahre.

JR: Ja, immer. 1968 hatte ich eine Ausstellung bei Ileana Sonnabend in Paris, in der Rue Mazarine 12. Es war eine Installation aus durchgehbaren Gemälden aus Polyesterfilm, die „Forest Ranger“ hieß. Da ging in Paris die Revolution los. Leute in roten Pullovern schlugen andere und rannten weg. Die Leute tranken zu viel, und es eskalierte. Ich dachte erst, es wären nur Studenten, aber es waren auch Automobilarbeiter und Gewerkschaften. Es war wie ein Erdbeben. Also flog ich nach Hause. Dann schwappte das Erdbeben auch in die USA über. Das war noch 1968. Noch etwas in dem Zusammenhang. Ich habe Marcel Duchamp ein paar mal getroffen. Er war sehr gesprächig und ausgesprochen nett. Junge Studenten hielten ihn für unzugänglich. Sie hielten ihn für ein Mysterium, für völlig unerreichbar. Dabei war er in Wirklichkeit sehr freundlich. Ein freundlicher, geselliger Mensch. Ich fragte ihn einmal, ob er sich mit fernöstlicher Philosophie befasst hätte. Nicht wirklich, sagte er. Gelesen habe er nur „Zen in der Kunst des Bogenschießens“. Ich schenkte ihm eine Sonnenblumen-Fliegenklatsche und einen New-York-Anstecker mit der Mona Lisa drauf. Und er saß da und schlug nach imaginären Fliegen. Bei jedem Schlag öffnete sich die Blume hinten an der Klatsche. Es war etwas Besonderes. Er stirbt, und das ist der politische Teil, er stirbt. Nach seinem Tod gab es im Modern Museum eine Retrospektive. Und das Museum bat Leo Castelli und mich, zur Eröffnung zu kommen und Interviews zu geben. Leo hat gekniffen und ist gegangen. Er ist abgehauen und hat mich allein gelassen, allein mit den Fernsehleuten, die fragten: „Mr. Rosenquist, Ihr Werk wurde aufgrund seines politischen Inhalts kritisiert.“ „Warum hat Marcel Duchamp Ihrer Ansicht nach nie etwas Politisches in sein Werk einfließen lassen?“ Ich sagte: „Halten Sie die Kamera an.“ Und ich ging gegenüber etwas trinken. Dann ging ich zurück und sagte: „Okay, Kamera ab.“ Man stellte mir dieselbe Frage, und ich antwortete: „Weil er wahrscheinlich nie auf die Idee kam.“ Was soll man denn da sagen?

MH: Okay. Wechseln wir das Thema, damit Sie nichts trinken müssen. Ich möchte mit Ihnen über neuere Entwicklungen in den Massenmedien sprechen, etwa in der Musikindustrie durch Sender wie MTV, und auch neue Verfahren im Film. David Lynch hat beispielsweise Verfahren eingesetzt, die es in Ihren Gemälden bereits gab.

JR: Wirklich?

MH: Nur in einem anderen Medium. Wenn ich mir einige von Ihren Bildern ansehe, vor allem die großformatigen, erlebe ich so eine Art Flash.

JR: Verstehe.

MH: Manchmal ist man nah dran an einem Motiv, manchmal weit weg davon, und eins nach dem anderen erlebt man so einen Flash. Das erlebe ich bei Ihren Bildern sehr stark. Und ich glaube, dass diese Verfahren... Es ist nicht dasselbe, aber man findet sie in diesen neuen filmischen Verfahren wieder. Interessieren Sie sich auch dafür?

JR: Na ja, 1968 hatte ich ein Filmteam. Ich habe mir das alles selbst beigebracht. Ich habe mir damals auch ein paar gute Kameras angeschafft. Ich hatte von Mitchell eine 35 mm-Hochgeschwindigkeitskamera. Ich arbeitete mit Melvin Sokolsky aus Hollywood, mit meinem damaligen Schwager Gordy und einem Briten, Michael Rowles, der jetzt bei der BBC ist. Wir hatten unser eigenes Filmteam und experimentierten herum, allerdings mit bekannten Verfahren. Es war wie an der Filmschule. Wir experimentierten mit der Beleuchtung und mit allerlei Tricks. Wir probierten ganz vieles aus, nur um zu üben. Ich wollte nämlich einen Film drehen und mich mit allem vertraut machen, dem Film, den Emulsionen, den Farben, den Kosten. Und damals musste man für zehn Stunden 35 mm-Farbfilm von Kodak 36.000 Dollar ausgeben. Zehn Stunden 16 mm-Film kosteten 9000 Dollar. Ich frage mich, was es jetzt kostet. Eine Rolle Farbfilm kostete damals 160 Dollar. Und eine Rolle Schwarz-Weiß-Film kostete 90 Dollar. Das waren zehn Minuten Film. Das kann man auf zehn Stunden hochrechnen. Ich hatte jedenfalls Ideen für den Film, aber letzten Endes mussten wir alle zu unseren Jobs zurückkehren, weil uns das Geld fehlte. Ich machte mir auch Gedanken darüber, was genau mein Beitrag zu diesem Film sein würde. Wollte ich wie die Vertreter der Nouvelle Vague sein, die alles selbst machten, Drehbuch schreiben, Regie führen, mitspielen. Godard zum Beispiel drehte diese Kurzfilme, die sehr gut waren, aber eben ganz anders als Hollywood-Filme. Ich hatte immerhin ein paar kleine Ausschnitte gefilmt. So etwas wie das, was Sie vorhin beschrieben haben. Einer davon zeigte ein Festessen. Das sollte eine Szene im Film sein. Ich hatte Vera List gefragt, ob sie darin mitspielen wollte. Sie sagte: „Aber gern!“ Aus dem Film ist aber nichts geworden. In der Szene speisen gut gekleidete Leute an einer Tafel, darunter Vera List in einem sehr eleganten Abendkleid. Und dann kommen plötzlich Tiere mit an den Tisch. Pferde, Eichhörnchen und Waschbären fressen mit und bringen die ganze Situation durcheinander. Ich interessierte mich auch für Buñuels Filme, die mich sehr beeindruckt hatten. Inspiriert hat mich auch der Kameramann, der bei Dennis Hoppers „Easy Rider“ mitgewirkt hat. Mir gefiel die Gegenüberstellung von Nahaufnahmen. Das habe ich aus der Zeit, als ich ein paar Straßenzüge weiter am Times Square Werbeplakate malte. Mich interessierten auch diese Freiluftkinos, diese Autokinos im Freien. Da saß ich vor der riesigen Leinwand und konzentrierte mich nur auf die untere rechte Ecke. Ich starrte nur auf die Handlung, die sich in dieser einen Ecke abspielte. Es gab keinen anderen Parkplatz.

MH: Sehr abstrakt.

JR: Es war sehr abstrakt, sehr ungewöhnlich. Früher sagten nämlich meine Dozenten zu mir: „Jim, ein Bild muss man nicht nur in der Mitte fertigstellen, sondern in allen Ecken.“ Daher kam das. Ein weiterer Einfluss war die Bildredaktion der Zeitschrift „Paris Match“, aus folgendem Grund. Auf der Titelseite der „New York Times“ erschien während des Vietnamkriegs ein kleines Schwarz-Weiß-Foto. Die Bildunterschrift lautete: „US-Marinesoldaten mit bloßen Oberkörpern irgendwo in Vietnam unter Beschuss.“ Sie liefen durch den Sand mit ihren Hemden in den Händen. Dasselbe Foto wurde in Farbe über zwei Seiten in der „Paris Match“ veröffentlicht. Darunter stand nur: „La rouge fleur“, „Eine rote Blume blüht auf der Brust eines toten Marinesoldaten.“ Ihm war in die Brust geschossen worden, das Blut rann, er war tot, aber stand noch aufrecht. Das war extrem plastisch.

MH: Ein starkes Bild.

JR: Sehr stark. Nun, wenn man im Filmbereich etwas machen will, ist es ein sehr langwieriger Prozess, bis man überhaupt die finanziellen Mittel hat. Man braucht Jahre, um etwas fertigzustellen. Etwas Gutes.

MH: Ich möchte gerne mit Ihnen über den Entstehungsprozess Ihrer Bilder sprechen. Ich möchte wissen, wie Ihre Kompositionen entstehen. Das letzte Mal, als ich Sie traf, hatten Sie eine Art Skizze dabei. Die Motive auf Ihren Bildern überlappen sich. Sie malen sie übereinander. Mich interessieren folgende Dinge: Wie entstehen Ihre Kompositionen, wenn Sie verschiedene Motive miteinander verbinden? Stehen Bildaufteilung und Farben schon fest, wenn Sie mit dem Malen beginnen? Und wie lange brauchen Sie für ein Gemälde? Sie haben ja früher mal Werbeplakate gemalt. Konzentrieren Sie sich auf ein Gemälde, oder entstehen Ihre Ideen nach und nach? Unterbrechen Sie die Arbeit an einem Gemälde? Mich interessiert der Entstehungsprozess Ihrer Bilder.

JR: Ich versuche Gemälde zu malen, die keinen bestimmten Titel haben. Wenn Leo Castelli ein Bild sieht, fragt er immer: „Jim, wie heißt dieses Bild?“ Ich muss mir dann erst mal einen Titel überlegen. Wenn der Kunstsammler ein Gemälde mit Titel bekommt, erhält er etwas Besonderes. Auf Leos Autokennzeichen steht „Untitled“. Das steht wirklich auf seinem Nummernschild. Ich lasse mich beim Malen zunächst von seltsamen Gedanken oder Arrangements inspirieren. Die können von überall herkommen. Ich denke mir dann: „Das ist außergewöhnlich und bizarr.“ Es ist aufregend, sich zu überlegen, wie man diese Ideen malerisch umsetzen könnte. Und ich kann malen. Ich kann wirklich malen, denn ich habe schon viele meiner Bilder verkauft. So war meine Denkweise. Wenn man Bilder von Unterhosen, Spaghetti oder Bier malt, und sich das verkauft, dann kann man alles malen. Jedenfalls ist das meine Herangehensweise. Wenn ich auf etwas Besonderes stoße, dann mache ich davon Fotos. Ich kann mich noch an eine Situation erinnern. Eines Morgens schaute ich auf den ruhigen Golf von Mexiko. Das Wasser glich einem Spiegel. Zwei meiner Assistenten hielten für mich ein Stück Plexiglas in Höhe des Horizonts. Dann goss ich Benzin auf das Plexiglas und zündete es an. Es sah also so aus, als würde der Horizont brennen. Darüber war der Spiegel, und es wirkte sehr echt. Ich machte etwa 100 Fotos davon. Dann passierte etwas Eigenartiges. Eine Flamme sah aus wie die Skulptur „Nike von Samothrake“. Das war wirklich eigenartig. Andere Flammen sahen wie Skulpturen aus, und einige wirkten sogar kitschig. Es gab aber auch ganz gewöhnliche Flammen. So war das. Diese Fotos ließ ich einfach herumliegen. Was wollte ich sagen? Dann kamen mir einige ungewöhnliche Ideen für Motive. Wie sie sagten, das ist wie in Filmen. Ich habe gelernt, dass Bildfindung manchmal ganz mechanisch beginnt. Das lernte ich, aber eigentlich wusste ich das schon. Vor Jahren besuchte ich Doug Trumbull in Los Angeles. Es ist sicher 20 Jahre her. Er machte die Spezialeffekte für den Film „2001: Odyssee im Weltraum“. Außerdem machte er viele Werbespots für NBC, CBS und ABC. Er nahm einfach so eine Art Gebläse für Lithografien, doch anstatt damit Steine zu trocknen, nahm er ein Stück Plastik und befestigte es daran. Darauf schrieb er „NBC Television“. Mit einer Hochgeschwindigkeitskamera filmte er im Dunkeln den Kreis aus verschwommenen Buchstaben. Das sieht man ja im Fernsehen. Die Buchstaben verschwinden. Das hat er dann auch aus verschiedenen Winkeln gefilmt. Er entwickelte auch eine Technik, die eine Art Unendlichkeit vermittelt, für „2001: Odyssee im Weltraum“. Dazu nahm er eine 35 mm-Kamera und legte sie auf die Seite. Dann schwärzte er sehr mechanisch eine Hälfte des Bildes, filmte diesen Effekt auf einer Seite, drehte es um und schaffte eine unendliche Linie. Das sah dann so aus, als würde das Bild zerlaufen. Viele Dinge sind sehr mechanisch. Ich sammle also zunächst die Fotos. Ich habe das ganze Zeug die ganze Zeit um mich herum, all das Material. Ich experimentiere immer weiter und versuche den Prozess der Bildfindung zu ändern. Das Bild, das Aussehen, die Fläche, die Erkennbarkeit von Dingen. Damit das Bild nicht völlig gegenstandslos wirkt und einen trotzdem packt. Das ist nicht einfach. Es gab ganz großartige gegenstandslose Maler. Hans Hoffmann war ein toller gegenstandsloser Maler. Es gab sehr gute französische und deutsche Maler. Aber das Packende an ihren Bildern ist die Plastizität der Bildebene. Dafür scheint etwas anderes zu fehlen. Aber das ist schwer zu sagen. Es könnte auch sein, dass das nur meine Sichtweise ist. Ich habe kürzlich eine eigenartige Erfahrung gemacht, über die ich in Japan reden werde. Ich traf meinen Freund Melvin Sokolsky in Beverly Hills, und er sagte: „Jimmy, komm vorbei. Ich bearbeite einen Film digital nach.“ Also ging ich zu ihm. Bei ihm saßen irgendwelche Nachteulen. Die arbeiteten die Nacht durch. Sie zeigten ihm ein Bild, er sagte: „Holt die Büsche hervor und entfernt den Schatten aus ihrem Gesicht.“ Sie änderten es. „Das passt zum nächsten Bild.“ So fügte er den Film langsam zusammen. Ich war vor ungefähr sechs Wochen im Louvre in Paris. Dort sah ich zwei Gemälde von Vermeer aus dem 15. Jahrhundert. Er nutzte mit als Erster die Form der Ölmalerei. Dort an der Wand hingen „Der Astronom“ und „Der Geograph“. Und ich schaute mir diese Gemälde ganz genau an. Es sah so aus, als hätte er einen Einhaarpinsel verwendet. Er schaffte die Hell-Dunkel-Kontraste durch Komplementärfarben und nicht durch Schwarz. Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege, denn ich bin nicht sicher, aber er schien bereits pointillistisch zu arbeiten. Nur auf eine andere Art und Weise. Ich dachte bei mir, dass man diese Bilder sicher nicht digital nachbearbeiten könnte mit den heutigen Verfahren. Vermeer war uns im 15. Jahrhundert also bereits voraus. Er war uns voraus. Was uns dafür fehlt, ist ein Film. Fuji und Kodak haben so etwas noch nicht entwickelt. Denn die Tiefe in Vermeers Gemälden ist wirklich einzigartig. Das schafft man mit Fotografie nicht. Wie auch immer man das nennt, was er da tat, es ist großartig. Das lässt alles andere sehr mechanisch wirken

MH: Steht die Bildkomposition, bevor sie mit dem Malen beginnen?

JR: Als ich in New York ankam, waren die Helden der jungen Künstler Bill de Kooning und Franz Kline und andere Aktionsmaler, und weniger Mark Rothko oder andere. Obwohl ich seine Werke großartig finde. Kunststudenten sollten Kleckse auf eine weiße Leinwand machen. Aus diesen Klecksen sollte dann etwas entstehen. Sie dienten als Ausgangspunkt und sollten die Studenten inspirieren. So ging das dann immer weiter. Ich erinnere mich an eine Talkrunde mit Marshall McLuhan in Toronto für Philip Morris. Sie fragten Mr. McLuhan: „Mr. McLuhan, können Sie diese Metapher erklären?“ Er sagte: „Die Reichweite eines Mannes muss über seine Armlänge hinausgehen, oder was soll ‚Meta‘ sonst bedeuten?“ Ich möchte also, dass mein Arm beim Malen bis ganz nach oben reicht und nicht nur so hoch kommt wie bei einem Schneeengel, wo der Arm die Reichweite vorgibt. Ich persönlich würde gerne die ganze Sixtinische Kapelle bemalen. Ich will alles Mögliche bemalen, deswegen habe ich auch Werbeplakate gemalt. Ich fange mit kleinen Motiven an und vergrößere sie dann. Ich rede nicht von Qualität, sondern von der Fähigkeit, die gesamte Größe beim Malen zu nutzen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich überlege mir sehr lange, was und wie ich etwas malen will. Dann fange ich an, nach meinem Entwurf zu malen. Kurz bevor das Gemälde vollendet ist, nehme ich noch kleine Änderungen vor. Ich ändere nur ein paar Dinge. Wenn man da viele Änderungen vornimmt, so wie de Kooning... Er kratzte zum Teil die ganze Farbe wieder herunter und fing noch mal von vorn an. Ich kannte Bill wirklich gut. Er war ein sehr netter Mann und ich denke, dass seine anfängliche Armut der Grund für die Ästhetik seiner Bilder ist. Denn er war begierig darauf, weitere Bilder zu malen. Er wollte keine Zeit verlieren, denn er musste Geld verdienen. Also malte er etwas anderes darüber. Unter seinen Gemälden sind also weitere Bilder. Ich glaube, Arshile Gorky machte das auch. Ich kannte einige seiner Freunde, aber ihn habe ich nie kennengelernt. Man muss sich seine Zeichnungen auf gutem Papier ansehen. Sie sind ganz rau, fast wie bei Rembrandt. Sie sind schon ganz abgenutzt, weil er nicht mehr Papier hatte. Dadurch entstand diese Ästhetik. Ich denke, die Concept-Art wird von Erinnerungen beeinflusst. Salvador Dalí nannte eines seiner Werke „Die Beständigkeit der Erinnerung“. Eines meiner Werke heißt „Star Thief“. Das Bild zeigt die Anziehungskraft der Sterne. Um zu den Sternen zu fliegen, braucht man eine Rakete. Dann fliegt man auf den Lichtpunkt zu, da er einen anzieht. Und wenn man dort ankommt, sieht man etwas weiter weg einen weiteren Lichtpunkt. Dann macht man einen Umweg und fliegt zu diesem Lichtpunkt. Den zweiten Teil der Reise gäbe es nicht, wenn man sich nicht bemüht hätte, zum ersten Stern zu kommen. Und das ist der Punkt, an dem man möglicherweise entscheidet, ein anderes Bild malen zu wollen. So in der Art.

MH: Aber wenn Sie über die Bildkomposition nachdenken, haben Sie dann eine feste Vorstellung von der Größe des Gemäldes? Oder passiert das später?

JR: Nein, meistens denke ich vorher über die Größe nach. Und ich muss wirklich sagen, dass ich gerne große Gemälde male, weil es wie eine sportliche Betätigung ist, aber ich mache sie nicht nur, weil sie groß sind. Wenn man sich in der Nähe von großen Werken aufhält, sind sie eine große Farbatmosphäre, genau wie einige großartige Wandgemälde. Man sieht sie nicht vollständig und verspürt trotzdem eine gewisse Wärme. Das fühlt sich so an, als wäre man in einem Raum, der nach dem Goldenen Rechteck geschnitten ist, der etwa die Größe eines kleinen Schuhkartons hat. In Europa gibt es viele solcher Räume. In den USA gibt es nur wenige Räume mit so schönen Proportionen. Wenn man solche Räume betritt, fühlt man sich wohl. Das haben Sie vielleicht schon festgestellt. Man denkt: „Das ist aber nett hier.“ Man weiß nicht warum. Aber die Proportionen scheinen für uns zu stimmen. Das ist eine mathematische Sache, aber es ist großartig. Goldene Rechtecke findet man besonders häufig in Kunstwerken der Renaissance.

(New York, April 1997)

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