KünstlerInnenporträts 37

Gespräch mit Tony Oursler

Stella Rollig: Zu Beginn würde ich Sie gerne bitten, Ihren persönlichen Ausgangspunkt zu beschreiben, wie Sie Ihre Arbeit, so, wie wir sie jetzt sehen, entwickelt haben.

Tony Oursler: Ich glaube, der Grund, weshalb mich Video überhaupt interessierte, war, daß man hier ein Medium hatte, das Aspekte vieler verschiedener Arbeitsweisen vereinigte, viele verschiedene Medien zusammen in einem einzigen. Man hatte so etwas wie eine graphische Qualität oder eine malerische Qualität zur Verfügung – die ich in jene frühen Arbeiten einbeziehen wollte – und dann bestimmte narrative Strukturen, gebrochene narrative Strukturen, Sprache, Schallelemente, musikalische Elemente und natürlich performative, theatralische Elemente; und später diese Art Ausbruch aus dem Fernsehapparat und zurück in die Wirklichkeit. Denn das Problem dieser Art medialen Raums, dieses transformierten Raums, von dem jemand sagte, daß man in ihn eintreten könne und eine Form von Dialog zwischen der wirklichen Welt und der projizierten Welt erreichen könne, bricht in den Installationen irgendwie zusammen, in denen man, hoffentlich, eine Art Transmutation zwischen den beiden Bereichen erlebt. Das heißt, daß es also zurück in den realen Raum geht.

SR: Glauben Sie, daß das damit zusammenhängt, daß Sie zu der ersten Generation gehören, die mit dem Fernsehen aufgewachsen ist und mit diesem Wechsel zwischen Fernseh-Raum und realem Lebensraum, den Sie ständig erfahren haben?

TO: Absolut, da gibt es gar keinen Zweifel. Ich glaube das nach wie vor und ich wundere mich, daß tatsächlich nicht mehr Leute sich damit beschäftigen. Manchmal denke ich, daß man in 1000 Jahren oder so auf unsere Kultur zurückschauen wird und unsere Kultur als die „Zuschauer“ sehen wird – die Art von Leuten, die täglich ein Maximum an Stunden dasaßen und etwas anschauten, was zumindest in den Vereinigten Staaten ziemlich verbreitet ist. Jetzt, mit den Computern, gibt es eine etwas andere Beziehung zum Bildschirm. Zeitfresser! Ich denke, da gibt es eine beträchtliche Verschiebung in der Art, wie Menschen ihren Körper und ihre Zeit verwenden. Zur ersten Generation zu gehören, die mit dem Fernsehen aufgewachsen ist, bringt, glaube ich, eine endgültige Auflösung von persönlicher Kultur und von Populärkultur mit sich, und zwar deswegen, weil Fernsehen, im Unterschied zum Kino, ein personalisiertes, familiäres Verhältnis zu den Medien wie dem Radio etc. ermöglicht. Im Kino gibt es viel eher eine kollektive Situation. Daher glaube ich, daß wir am Anfang einer Art psychonormatischer Revolution stehen – und das Fernsehen ist der erste primitive Schritt.

SR: (.) Ich möchte auf ihre Zeit am „CalArts“ zu sprechen kommen – wann war das genau? Irgendwann während der siebziger Jahre?

TO: Ja, '76 bis '79, glaube ich.

SR: Denn jetzt, aus einer distanzierten Perspektive, scheint es so, als hätte es da ein sehr spezielles Klima gegeben. Denn an den Leuten, die sehr bekannt wurden, wie Mike Kelley oder andere, wird deutlich, daß es scheinbar einen besonderen Austausch zwischen Musikern, bildenden Künstlern gab, wie eine besondere Performance-Kultur, wie Sie sagten, eine „Post-Warhol“-Popkultur und Kunstbewegung. Hatten Sie das Gefühl, daß dies eine Besonderheit des CalArts war, der kalifornischen Kunstszene dieser Zeit?

TO: Ich denke, es entsprang einer Mischung aus konzeptueller Kunst genau zu der Zeit, als viele Leute an Popkultur interessiert waren. Wir konnten experimentieren und es war eine große Zeit des Umbruchs; die Idee des Handwerks, die gestürzt wurde. Die Idee, ein Handwerk im Sinn von Kunstproduktion zu perfektionieren, wurde abgelöst von der Idee der Ideen, wobei eine wohlentwickelte Idee wahrscheinlich mehr Bedeutung hatte als eine Form von Fertigkeit. (.) Ich glaube, es gab in jener Zeit in unserer Generation einen gewissen Ernst der Populärkultur gegenüber, und ich vermute, daß es vielleicht einige der Lehrer waren, die wir hatten, wie Laurie Anderson oder Julia Hayward oder Baldessari, solche Leute, die ein Interesse hatten, Dinge niederzureißen, aber auch jemand wie Laurie Anderson, deren Absicht eigentlich eine Überschreitung war, hatte, denke ich, einen Einfluß auf unser Denken. Für sie war Musikmachen nicht weniger ernsthaft als andere Dinge, aus heutiger Sicht aus eindeutigen Gründen, aber damals wurde sie nicht als Rockstar gesehen, sie wurde als etwas anderes gesehen.
Zu den Problemen, die zahlreiche Künstler betreffen, gehört eine gewisse Verbrauchtheit, die sich in ihrer Arbeit einstellt, wenn sie sich automatisiert. Ich möchte es lieber lebhafter erhalten. Ich komme dahin, Dinge zu tun, die ich von selbst vielleicht nicht tun würde, wo ich mich aber in verschiedene Richtungen krümmen und strecken kann, um zu sehen, was passiert. Zum Beispiel diese Performance für Rick, die Performance „phantastic prayers“, von deren Entwicklung Sie einen Teil sahen, die Bruchstück-Performance.

SR: Im World Wide Web?

TO: Ja, im World Wide Web. Es war eigentlich eine dreifache Zusammenarbeit, auch mit Steven Vicello, der Komponist und Gitarrist ist, und eine Menge unterschiedlicher Künstler stießen dazu. Wir luden Julia Scher ein, etwas zu machen, was noch nicht im Netz steht, aber wir werden es dort hineinstellen, und Jim Shaw kommt auch wieder dazu. Das waren also eine Menge Kollaborationen, viele Rädchen, sodaß ich am Ende, als wir die Performance aufführten, völlig perplex war, daß es sich tatsächlich ereignete.

SR: Und haben Sie während der Arbeit daran Ihre Art der Zusammenarbeit verändert, wie zum Beispiel durch den Gebrauch von e-mail oder ähnlichem?

TO: Nein. Wir dachten an eine Öffnung, damit Leute per e-mail Beiträge schicken oder Video-Clips ins Netz stellen konnten oder etwas auf CD-Rom oder was weiß ich. Aber etwas ist seltsam an einer Zusammenarbeit. An einem bestimmten Punkt muß man sich überlegen, weshalb man zusammenarbeitet, und an diesem Punkt, wissen Sie, könnte es interessant sein, was jemand anderer einem geben möchte. Aber ich bin ein Produzent, also gibt es eine Menge Dinge, die ich selbst machen will! Oder es geht bloß darum, Informationen von einem Ort zum anderen zu schieben. Ich denke, das ist eine interessante Frage, weil es diese ganze Idee von medialer Interaktivität gibt und die Vorstellung, daß der Betrachter mitarbeiten könnte. Oder daß es die Vorstellung eines Betrachters an sich nicht mehr länger gibt; und daß jeder ein Künstler ist; und daß es, wenn wir ins Internet einsteigen, oder in die virtuelle Realität, keinerlei hierarchische Strukturen mehr gibt. Das sind ziemlich problematische Vorstellungen, wenn es um die Fragen geht, „wer macht was“ und „was ist interessant“. Man kann eine Menge machen und eine Menge Knöpfe drücken und eine Menge Informationen herumschieben, aber letztendlich muß irgend jemand etwas machen, was interessant ist.

SR: Ich habe das Gefühl, wir sollten im Gespräch einen Schritt zurückgehen, weil wir diesen Sprung von Ihrem Anfang, vom Einsatz von Video, hin zum Internet gemacht haben; und wir sollten vielleicht über die Veränderung zwischen dem Video und dieser Form der Installation, die Sie machen, sprechen.
Sie begannen, diese Dummies einzuführen, auf die Sie Ihre Video-Bilder projizieren. Würden Sie ein wenig darüber erzählen, wie Sie diese Art der Installation entwickelt haben?

TO: Ich versuchte, tatsächlich die Grenzen des Bildschirms aufzulösen, die ich als störend empfand, als eine Art formales Problem, wie zum Beispiel: Was Sie jetzt auf diesem Bildschirm anschauen, der von jemandem im Jahr 1940 oder so gestaltet wurde, ist eine Art von Proportion und eine Form, ein Bild zu beschränken. Also versuchte ich immer, mit Spiegeln zu experimentieren, mit Glas, mit Reflexionen, mit unterschiedlichen Weisen, dieses machtvolle Medium vom Bildschirm selbst loszulösen; was ungefähr so ist, als würde man zu einem Maler sagen: „Male auf Leinwänden in Einheitsgröße.“, oder so ähnlich.
Plastisch löste ich diese Dinge also in den achtziger Jahren auf und in den späten achtziger Jahren begann ich dann, an diesen kleineren Projektionen zu arbeiten, die mir tatsächlich erlaubten, das Video-Bild vom Fernsehapparat zu lösen und jetzt nach vielen Jahren, zehn Jahren, mehr Feinheiten hineinzubringen.
Aber die Idee des Dummy selbst war eine seltsame Entwicklung, denn in meinen frühen Video-Arbeiten hatte ich versucht, verschiedene Wege zu finden, den Körper darzustellen, oder Schauspieler, oder Personen, in Fleisch manifestierte psychologische Zustände. Ich war sehr fasziniert davon, was in den Medien eine Entität ausmacht, das war einer der wichtigsten Sub-Texte meiner Arbeit in all den Jahren: Wie entscheidet man, ob das, was man sieht, ein Wesen ausmacht.
In meinen frühen Arbeiten experimentierte ich also mit Dingen wie Puppen, Papierfetzen, etc. Ich verstand das als eine Art Verweigerung: diesen übertragenen Akteur, verschiedene Körperteile, isolierte Körperteile, die Hände, Augen, Genitalien, was immer. Ein Versuch, ein reiches Vokabular an „Akteuren“ einzubeziehen. (.)
Das passierte also innerhalb des Bildschirms, und wenn man sich die Videotapes ansieht, ist es ganz klar da. (.)

SR: Sie verwenden stets sehr intensive psychische Situationen. Die Gefühle, die diese Dummies ausdrücken, sind Gefühle wie Angst oder sehr starke Emotionen. Verwenden Sie das als Filter, verwenden Sie Emotionen, die durch Medien erzeugt werden, und steigern Sie sie bis zu ihrem Höhepunkt?

TO: Das heißt, wieder zu den Medien zurückgehen, wie Sie sagten, denn etwas, was mich immer schon fasziniert hat, war die Vorstellung, daß unsere Kultur, so wie sie vor Kinoleinwänden und Fernsehschirmen sitzt, diese zahlreichen physischen und psychischen Veränderungen durchmacht; und weshalb wir uns entscheiden, das zu tun; und wie wir das in der Struktur der Medien herstellen, weil wir es brauchen. Was also geschieht hier, wie wird das umgesetzt und wie erzeugt es das Publikum, oder wird es für das Publikum erzeugt, und das ist Feedback?
Es war tatsächlich nur eine Erkundung folgender Frage: Weshalb sind wir an diese traumatischen Situationen gefesselt? Die weinenden Puppen waren die ersten. Aus irgendeinem Grund gab es auch bei den Puppen diese Form der Größenverhältnisse. Das wurde sehr interessant und für mich geht es dabei auch um Medien, denn es ist etwas, das ganz offensichtlich im Fernsehen passiert. Jetzt schweife ich aber ab. Vielleicht können Sie etwas anderes anreißen, sonst drifte ich.

SR: Ich glaube, diese unterschiedlichen Ebenen, die Sie in Ihrer Arbeit herstellen, sind das, was sie so intensiv macht. Sie stellen sehr intensive Situationen für die Betrachter her und es kommt irgendwie zusammen: die intensive Situation, in der sich diese andere Person, dieser Dummy, befindet, und die eigene Situation. Es ist ein Projektionsvorgang, hin und zurück. Wenn Sie dann diese häuslichen Environments herstellen, ist das eine andere Ebene, mit diesen geblümten Sofas, usw. Sie stehen auf dem Kopf, sie sind umgedreht und die Menschen, die in ihnen auftauchen, sind in einem Zustand der Verwirrung, der Angst. So kollidiert und kollabiert alles irgendwie. Ich habe mich gefragt, ob es als eine Form von Medienkritik gelesen werden kann, aber auf der anderen Seite tun Sie dasselbe wie das Fernsehen, wie die Medien: Sie manipulieren, sehr stark sogar. Eine Freundin hat mir zum Beispiel erzählt, daß ihr einer Ihrer Dummies für Salzburg im Traum erschienen ist.

TO: Oh, nein!

SR: Das heißt, für sie war das ein wirklich starkes Bild, wie in einem bösen Traum! Wie ist es für Sie, zu manipulieren? Beabsichtigen Sie es?

TO: Ich hoffe, daß es darüber hinausgeht, über bloße Manipulation hinaus, weil das zu den Dingen gehört, die ich an Leuten wie zum Beispiel, sagen wir: Spielberg verabscheuungswürdig finde, der einen auf Knopfdruck zum Weinen bringt. Wenn es da eine ganz bestimmte Einstellung im Film gibt, wird man sagen: „Ach, ist das traurig.“ Aber diese Arbeiten gehen hoffentlich darüber hinaus, sodaß die Leute in einen anderen Dialog gelangen können über die Frage, weshalb ihnen das zustößt.
(.)

(Wien, Mai 1995)

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