KünstlerInnenporträts 22

Gespräch mit Hubert Schmalix

Georg Schöllhammer: Herr Schmalix, warum malen Sie noch?

Hubert Schmalix: Mir fällt nichts anderes ein. Das Malen ist wirklich etwas, wovon ich glaube, daß ich es am besten kann. Es ist nicht vordergründig eine ideologische Haltung, sondern ich habe damit begonnen und bin noch nicht herausgekommen. Mich interessiert es noch immer sehr stark und ich suche noch immer nach Problemen innerhalb der Malerei, so daß ich aus der Malerei nicht herauskann.

GS: Haben Sie ein Konzept von Malerei, oder wie entsteht ein Bild?

HS: Ich versuche einfach, das Bild von selbst entstehen zu lassen, kein direktes Ziel anzupeilen, sondern ständig unter Loslösung der Gravität zu arbeiten. Es geht nicht darum, einen Weg bis zum Ziel zu gehen, sondern ständig zu schweben – zu schweben, bis irgend etwas da ist. Und dann irgendwann entscheidet man: Jetzt geht man runter auf den Boden und verläßt das Bild.

GS: Der Entscheidungsakt ist kein intellektueller, sondern fast ein physischer. Man spürt, daß es jetzt aus ist, daß es genug ist, daß man was anderes macht.

HS: Ja. Es fällt einem nichts mehr ein. Ab dem Moment, wo es eine schmerzhafte Überwindung wäre weiter zu malen, funktioniert es nicht mehr. Ich sehe in meiner Arbeit überhaupt keine besondere Wertigkeit: Ich gehe ins Atelier zu bestimmten Zeiten und gehe heim zu bestimmten Zeiten – wie ein Tischler oder wie ein Mechaniker.

GS: Sie sagen, Sie arbeiten wie ein Handwerker, wie ein Mechaniker – wie irgend jemand anderer, der etwas produziert, der seine Arbeit verrichtet und damit erledigt. Aber es ist doch trotz allem eine privilegierte Arbeit, die in der Gesellschaft etwas anderes produziert – nämlich so etwas wie symbolische Werte, symbolisches Kapital. Wie weit sehen Sie Ihre Bilder als Wertigkeiten im Kunstbetrieb? Wie sehen Sie den Kunstbetrieb überhaupt – wie er sich jetzt darstellt, mit den ganzen Wiederentdeckungen der Avantgarden, des sozial, politisch und emanzipatorisch arbeitenden Künstlers, der für die Gesellschaft produziert? Das heißt ja auch – anders als ein Handwerker, der einen Tisch produziert für jemanden, der ihn benutzt – aufklärerisch in der Gesellschaft zu arbeiten. Ist das eine Funktion, die Sie je wahrnehmen wollten, oder wollen Sie diese überhaupt nicht wahrnehmen? Was ist diese Kunst für Sie? Wie fließt das in Ihre Arbeit ein – auch Ihre reale Lebenssituation in Los Angeles – wo es sehr viel Kunst gibt, die gerade mit den realen Konflikten dieser Stadt arbeitet? Hat das eine Bedeutung? Hat Ihr Leben als Künstler in der Kunstwelt Los Angeles irgend eine Bedeutung für Ihr Leben als Maler in der Werkstatt in Los Angeles?

HS: Ich empfinde, daß Subjektivität in der Kunst ganz besonders wichtig ist. Wenn ich die Subjektivität verlasse, und politisch korrekt werde, dann verlasse ich den Bereich, der mich privilegiert, mich Künstler zu nennen. Es ist etwas kompliziert, und man müßte das genauer durchdenken, was jetzt Künstlersein bedeutet. Aber ich glaube, daß „Politische Korrektheit“ nicht Aufgabe eines Künstlers ist. Ich möchte einem Künstler auch Unwahrheiten abnehmen können – die Unwahrheiten, die in Form der Subjektivität enthalten sind. Wahrheiten darzubringen – da würde man sich an die zweite Stelle begeben –, gegenüber dem Wissenschafter oder gegenüber dem Journalisten. Es gibt Dinge, die sind ohnehin richtig – ich brauche als Künstler nicht etwas zu kommentieren, was ohnehin jeder weiß: Gewalt ist schlecht. Das muß ich nicht als Bild oder als Kunstform noch einmal darstellen, denn das kann jeder. 

GS: Gibt es da so ein Gefühl von Richtigkeit, wenn man vor dem Bild steht, oder an ihm arbeitet – jetzt ist es richtig? Und was wäre diese Richtigkeit, wenn es sie gibt?

HS: Es gibt immer wieder dieses Gefühl der Leere. Das Gefühl der Richtigkeit, das wäre mir sogar suspekt. Ich entfliehe eigentlich immer diesem Gefühl der Richtigkeit. Davor habe ich Angst. Das würde mich sogar in eine Krise stürzen, wenn ich sehen würde, daß das Bild richtig ist. Das würde ja implizieren, daß es nicht mehr offen ist – als hätte ich eine Formel gefunden. Und dem muß ich entfliehen.

GS: Wenn Sie Bilder beschreiben, wie beschreiben Sie diese?

HS: Am besten gar nicht.

GS: Wenn Sie mit Kollegen über Bilder reden?

HS: Ich sehe in erster Linie das Formale. Wahrscheinlich aus dem Grund, daß ich das Ideelle sofort erkenne – ich denke dann über das Formale nach.

GS: Über die Faktur, über die Komposition, über den Farbauftrag, über handwerkliche Dinge?

HS: Oberfläche.

GS: Oberfläche. Also auch über materiale, fast handwerkliche Strukturen. Denn formal ist man jetzt eingeschränkt auf das kompositorische oder auf das, was nach irgendeinem ästhetischen Kanon lesbar ist. Sie meinen also die ganze handwerkliche Seite?

HS: Ich sehe das Bild als Objekt. Ich sehe das Bild von allen Seiten – nicht nur diesen Film, der auf einer Leinwand ist, sondern das ganze Objekt, nicht ein Bild mit einer Seite, sondern ein Bild mit eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Seiten.

GS: Sie können sich genauso wie ein Tischler, der sich über einen Sessel ärgert, der eine Verbindung aus einer Schraube hat, obwohl es von der Struktur her nicht notwendig wäre, über Bilder ärgern, die solche Verbindungen haben. Oder wie ein Mechaniker, der sagt, in diesem Motor hängen aber die Zündkerzen dumm?

HS: Ja. Das ist absolut wichtig für mich. Ein einzelnes Detail – eine Unterschrift – kann das ganze Bild zerstören.

(Wien, Mai 1993)

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