KünstlerInnenporträts 08

Gespräch mit Paul McCarthy

Paul McCarthy: Es gab eine Zeit, wo ich keine Verbindung zwischen Malerei und Performance herstellte. Das war eine Zeit, in der die Performances minimalistisch waren und sich meist mit dem Phänomen der Dauer beschäftigten, aber sozusagen in direktem Bezug standen, bzw. oft in Bezug standen zu Film oder Video – wobei die Kamera scheinbar entweder das war, worauf ich reagierte, oder das, was ich einsetzte, um jemanden aufzunehmen. Sie wurden fast etwas ähnliches wie Videofilme – und das war etwas, was sich eigentlich in Los Angeles abspielte. William Wegman war dort und ein anderer Künstler namens Wolfgang Storkl. Diese Art Schwarzweißvideos im Studio zu machen – auch Nauman –, war etwas, was in den frühen siebziger Jahren in Los Angeles sehr verbreitet war. Ich denke, vielleicht. wahrscheinlich gab es das auch in Europa, obwohl es schwierig war, Videobänder zu bekommen oder welche zu sehen, aber in Los Angeles war das sozusagen ein eigenes Genre. Das heißt, ich verwendete. ich reagierte auf die Kamera und tat etwas mit ihr. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich die Sachen mit der beweglichen Kamera machte. Bei diesen Arbeiten bestand mein Interesse darin, mich in das Objekt hineinzubegeben oder die Architektur zu penetrieren. Zum Beispiel machte ich Videos und Filme, wo. ich arbeitete an einem Projekt, das ich unbedingt realisieren wollte: Ich zog einfach eine gerade Linie quer durch Los Angeles, von einem Ende zum anderen, und wollte an ihr entlanggehen – was bedeutet, daß man in irgend jemandes Garten landet oder Gebäude durchqueren muß.

Timothy Martin: Wie in „The Swimmer“.

PM: Ja, es sollte so etwas werden, was eine Weile problemlos dahingeht, und plötzlich stößt man auf ein Hindernis – eine Wand, die zu hoch ist, um sie zu überwinden, oder ähnliches. Ich habe die Arbeit nie realisiert. Und dann habe ich mir vorgestellt, einen Film zu drehen, mit dem gleichen Ziel – nie realisiert. Das waren Projekte, die beinahe wie Dinge waren, die man tun könnte. Aber ich begann an einem Film zu arbeiten, in dem sich die Kamera schnell drehte und der Bogen immer größer und größer wurde. Und dann kommt man an eine Wand und das ganze setzt sich auf der anderen Seite der Wand fort, solange, bis einen der Bogen in einen weiteren Raum führt. Das heißt, es war wie ein Bogen oder eine Spirale, die sich auf diese Weise bewegt, größer und größer wird, bis sie eine Wand erreicht und sich jenseits der Wand fortsetzt. Sie fragten, was es mit dem durch-Wände-gehen auf sich hatte. Ich erinnere mich, daß es damals eine Arbeit von Dennis Oppenheim gab, die ungefähr genauso funktionierte: ein Förderband, das durch eine Wand führte, von dem auf der anderen Seite aber ein Penny herunterfiel. So, als ob man Wände durchdringen könnte. Außerdem führte ich einige Arbeiten aus, in denen ich ein Loch in die Wand stieß und meinen Kopf in die Wand eingipste, sodaß man, wenn man hereinkam, nur den Körper heraushängen sah, während der Kopf in der Wand steckte. Und dann machte ich welche, wo ich meine Arme aus der Wand herausstreckte. Auf der anderen Seite ragten zwei Arme heraus.

TM: Um fotografiert zu werden?

PM: Ja, und es waren in gewisser Weise Performances – es gab Leute, die zusahen. Sie sahen zu, wie ich das Loch in die Wand schlug. Ich tat das selbst: Ich stieß das Loch in die Wand, steckte meinen Kopf hinein – bzw. rührte Gips an, stieß das Loch in die Wand, gipste meinen Kopf ein, sodaß diejenigen, die hereinkamen, diesen Körper heraushängen sahen.
Ungefähr 1972 machte ich eine Arbeit, wo ich eine Reihe von Dingen auflistete, die ich über den Zeitraum von einer Woche tun würde. Zum Beispiel würde ich etwa in eine fremde Wohnung gehen und mich weigern, sie zu verlassen; oder ich würde vierzig Minuten lang eine Tür öffnen und wieder schließen. Das war, als ich gerade mein Studium abschloß. Bis dahin hatte ich diese ziemlich minimalistischen Arbeiten gemacht. Da gab es eine Arbeit, wo ich Vaseline verwendete: Ich überzog eine Wand mit Vaseline und besprühte sie mit roter Farbe. So begann es sozusagen. Damals mischte ich Öl und Wasser. Ich machte diese Sachen, wo ich Öl und Wasser mischte, und es gab auch einige Bodenarbeiten mit Glas und Ketchup. Es war so, daß die Flüssigkeiten – das Ketchup und all das – als Mittel dienten, das ganze in Gang zu bringen. Und meine Überlegung war dann folgende: Sobald die Flüssigkeiten ins Spiel kamen, begann der Prozeß. so, als ob irgendeine Transformation der Personen und Materialien stattfinden würde; sobald die Flüssigkeiten ins Spiel kamen, begann es. Und ohne die Flüssigkeiten konnte es nicht beginnen.
Im Moment aber möchte ich Filme machen, die wahrscheinlich zurückgreifen auf die Dinge, die ich in den späten sechziger Jahren machen wollte, mit beweglichen Kameras – also wo sich die Kamera bewegt; und dann gibt es die Arbeit „The Garden“.

TM: Können Sie die ein wenig beschreiben?

PM: Es handelt sich um eine sechs mal neun Meter große Plattform, auf der eine künstliche Landschaft ausgebreitet ist. Da gibt es Fiberglas-Bäume und Fiberglas-Felsen und künstliches Gras, kein Kunstrasen, sondern diese Grasmatten, wie sie beim Film verwendet werden. Und die Fiberglas-Bäume sind allesamt Filmrequisiten und einige davon, drei der Bäume stammten aus den Dreharbeiten für „Bonanza“. Die standen vor der Hütte, der „Ponderosa“. Und die Größe der Bäume reicht von 30 oder 33 cm im Durchmesser zu 4.60 m Höhe bis 90 cm im Durchmesser und 7.60 m, 8 m Höhe. In diesem künstlichen Garten stehen Gummifiguren, Abgüsse von menschlichen Körpern, die von Motoren angetrieben werden: Eine fickt und hurt mit einem Baum und die andere mit dem Boden. Sie sind so positioniert, daß man sie nicht sofort sehen kann – sie sind sozusagen zwischen den Bäumen und Felsen verborgen – und sie schauen nicht in die Landschaft, sondern scheinen ins Leere zu starren – es wird sehr voyeuristisch.
In der Arbeit, die ich gerade fertiggestellt habe, geht man hinein und da knallen Türen zu; ungefähr alle zwei Minuten öffnen sich die Wände. Und im Moment arbeite ich gerade an einer Sache, die sich dreht und an einer, wo sich alles im Haus bewegt, alles bewegt sich. Es gibt Fassaden wie bei einem Landhaus oder bei einem normalen Haus. Sie sollen fast wie Simulatoren wirken – von außen gleichen sie irgendeiner funktionalen Struktur. Das Innere ist wie ein Innenraum gestaltet, der irgendwie glaubwürdig ist, auch wenn man weiß, daß man sich nicht in einem echten Landhaus befindet – die Idee ist, daß man eventuell anfängt das zu glauben – und dann beginnt es, sich selbst zu simulieren – es fängt an, sich zu regen, es bewegt sich, es zerfällt, es dehnt sich aus.

(Wien, November 1992)

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