KünstlerInnenporträts 04

Gespräch mit Jeff Koons

Jérôme Sans: In den letzten fünf Jahren wurden Sie zu jenem Künstler mit der größten Medienpräsenz und vielleicht zum meistdiskutierten; „Meister der Ästhetik von Kommunikation und Wirksamkeit“. Ihre Verbindung mit Cicciolina veränderte Ihre Arbeit explosionsartig. Worin sehen Sie die Grenze zwischen Kunst und Leben?

Jeff Koons: Ich habe versucht, Kunst und Leben zu einer einzigen Sache zu machen. Ich versuchte den Menschen zu zeigen, daß es genügt, im Leben geschickt zu sein.

JS: Welcher Art ist Ihre Beziehung zu Andy Warhol, der sich in diesem Bereich bewegte?

JK: Ich sah Jeff Koons niemals als den Sohn von Andy Warhol. Ich sah mich vielleicht eher als Sohn Michelangelos. Ich denke, ich habe meinen Spermien mehr Tricks beigebracht, als Andy das getan hat.

JS: Und wie ist Ihr Verhältnis zum Erfolg?

JK: Ich wollte Erfolg eigentlich nie aus einem anderen Grund als ökonomischer Unabhängigkeit. Ich wollte ein freies Leben haben. Ich hielt viel vom Stadium der Muße – meine glücklichsten Momente habe ich nur in einem Stadium der Muße und ich versuche, mich immer in diesem Stadium zu befinden.

JS: Über Ihr Verhältnis zu Medien sagten Sie: „Ich hätte gerne einen Dialog mit den Medien – denn die Medien definieren Realität – und möchte sie subvertieren, um ihre Merkmale sichtbar zu machen und zu verwenden.“ Glauben Sie nicht, daß Sie das augenfälligste Merkmal – Sex – verwendet haben, das für die Medien verkäuflich ist?

JK: Ich denke, ich bin zum Boden der Heuchelei abgetaucht und wieder aufgetaucht. Ich habe nicht versucht, direkt zu beurteilen, ob ich moralisch an dieses oder jenes glaube, sondern bin an den Tiefpunkt der Heuchelei gegangen.

JS: Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Sex und Pornographie?

JK: Für mich sind Sex und Liebe eine Form, in die Ewigkeit einzutreten und ich denke, manchmal könnte auch Pornographie eine Form sein, in die Ewigkeit einzutreten. Es kommt alles auf die eigenen Parameter an.

JS: Sie scheinen die fixe Idee zu haben, Kunst zu machen, die allen zugänglich ist. Sind Sie der Meinung, Kunst müsse eine gesellschaftliche Dimension haben?

JK: Ich glaube, daß Kunst ziemlich lange eine sehr machtlose Tätigkeit gewesen ist. Ich würde mir wünschen, daß Kunst Verantwortung erlangen würde zu führen, einen politischen Wert in der Welt zu haben, daß sie den Bedürfnissen der Menschen entspricht, daß sie manipuliert und verführt. Und daß sie ein politisches Instrument sein kann. In der jüngeren Vergangenheit, seit dem Barock und Rokoko, war Kunst ganz einfach machtlos.

JS: Sie sprechen oft vom praktischen Programm. Können Sie uns ein bißchen mehr dazu erzählen?

JK: In meinen Augen wäre eine aristokratische Gesellschaft eine Gesellschaft im Stadium der Entropie. Eine einzige müßige Klasse – jeder im Stadium der Muße.

JS: Aber glauben Sie nicht, daß Sie eher mit der Elite spielen als mit allen Klassen?

JK: Mein Ziel war immer, daß meine Arbeit imstande ist, Mobilität zu verleihen – egal welcher Klasse jemand angehört. Jemandem, der aus einer niedrigeren Klasse oder aus der Mittelklasse kommt, versuche ich zu vermitteln, daß es genügt, geschickt zu sein, die eigene Vergangenheit als Grundlage anzunehmen, sodaß sie sich nach oben bewegen können, daß sie die Überzeugung gewinnen, ihre Wünsche erreichen zu können; und gleichzeitig die Oberschicht zu entwerten. Sie braucht einen Ort, um zu fallen, und ihr Fall besteht im Annehmen der eigenen Geschichte.

JS: Sie sagten, daß Sie Luxus als Metapher verwenden wollen, um Klassenstrukturen zu definieren.

JK: Das habe ich in einer Gruppe von Arbeiten mit dem Titel „Luxury & Degradation“ getan.

JS: Und glauben Sie nicht, daß das ein etwas künstlicher Luxus ist?

JK: Ich halte nichts von Luxus. Für mich ist Luxus eine Form von Erniedrigung, genauso wie Alkohol eine Form von Erniedrigung ist. Es ist bloß eine Form der Abstraktion, die dazu verwendet wird, die Massen zu manipulieren, den Massen die politische und ökonomische Macht zu nehmen. Es gibt die verschiedensten Ebenen von Luxus. Egal, ob es sich um eine Flasche Whisky mit einem zündenden Namen handelt oder um einen Jaguar oder Mercedes, es ist eine Herabwertung.

JS: Sie würden zu einer Art Führer werden, einer Art Mentor, dem die Massen folgen?

JK: Ich hoffe, ein politischer Propagandist zu sein.

JS: Was denken Sie über den echten?

JK: Ich denke, ich bin der echte. Es freut mich sagen zu können, daß meine Arbeit weitgehend wie das Video eines Rockstars funktioniert hat. Sie ist durch viele Kulturen gegangen. Ich versuche Arbeit zu machen, die weltweit funktioniert – und, wie ich schon anfangs bekannt habe: Ich begab mich zum Tiefpunkt der Heuchelei. Wenn ich an Ihrer Tür läute und Sie öffnen, werde ich sein, wer immer Sie wollen, daß ich bin.

JS: Glauben Sie nicht, daß dieses Verhalten spezifisch amerikanisch ist?

JK: Nein, ich glaube es ist global. Ich denke, es ist das Bedürfnis zu kommunizieren, und der Wunsch danach, Verantwortung zu kommunizieren. Das erste, was in der Kommunikation notwendig ist, ist, daß man es schafft, den Betrachter auf die Information vorzubereiten. Und dazu muß man verführen, man muß manipulieren. Es gibt Leute, die behaupten: „Ach, ich halte nicht viel von diesen Worten, Manipulation und Verführung, ich verlange von der Kunst, daß sie sich mit Ästhetik beschäftigt!“ Die Leute, die von der Kunst verlangen, daß sie sich mit Ästhetik beschäftigt, wollen Kunst bloß als Segregation ihrer eigenen Gesellschaftsschicht oder ihrer Überzeugung von ihren eigenen intellektuellen Qualitäten.

JS: Kommunikation ist in Ihren Augen symptomatisch für die achtziger Jahre?

JK: Für jede Zeit.

JS: Aber glauben Sie nicht, daß es diesen besonderen „American Dream“ gibt?

JK: Wäre ich eine Amöbe, würde ich versuchen, die Amöbe in meiner nächsten Nähe zu verführen.

JS: Aber was könnten Sie sich vorstellen zu tun, nach den Bildern, die Sie dieses Jahr produziert haben? Auf dieser Stufe zu bleiben, weil es, wenn Sie die Tür aufmachen, nachher schwierig ist zurückzugehen?

JK: Ich war wirklich mein ganzes Leben auf der Suche und wollte eine Kunst schaffen, die dem Heiligen Herz Jesu oder dem Heiligen Gral sehr ähnlich ist. Das sind die Bilder, die den Menschen Wärme vermitteln, Sicherheit und das Gefühl einer möglichen Zukunft. Ich bin der Meinung, daß ich ununterbrochen zeitgenössische Heilige Herzen Jesu mache.

JS: Ist in diesem Sinn Ihre Formulierung „meine Arbeit ist eher ideell als konzeptuell“ zu verstehen?

JK: Meine Arbeit ist kein Segregator.

JS: Soll Ihr eigenes Leben zukünftig den Bereich Ihrer Arbeit darstellen?

JK: Ich glaube nicht, daß mein eigenes Leben jemals der Bereich meiner Arbeit war. Möglicherweise wird es so aufgefaßt, als wäre es mein eigenes Leben.
Gerade jetzt arbeite ich an einem weiteren Heiligen Herz Jesu. Es ist ein zwölf Meter hohes Hündchen. Es wird vor einem Schloß in Aarls in Deutschland sitzen und diese Stadt in ein Disneyland verwandeln. Als Disneyland in Deutschland wird es zu den acht Wundern zählen. Es wird Rokoko sein und ein Heiliges Herz Jesu.

JS: Apropos Rokoko: Wie ist Ihr Verhältnis zu Rokoko oder Kitsch?

JK: Sexuell.

JS: Ausschließlich?

JK: Rokoko und Barock und Kitsch. dabei geht es um die Bedürfnisse der Menschen, um ihren Wunsch nach Gleichgewicht. Wenn man Mathematik auf der einen Seite sieht, sieht man Natur auf der anderen. Wenn man Enthaltung auf der einen Seite sieht, sieht man Sex. Es geht um Gleichgewicht und darum, jemanden so zu positionieren, daß Kommunikation stattfinden kann. Kitsch ist ein Symbol Ihrer und meiner Vergangenheit.
Im Januar 1988 sah ich ein Foto von Ilona im Stern und verwendete das Kleid, das sie darauf trug, für eine Skulptur mit dem Titel „Fake Divers“. Und einige Zeit später begann ich, Ilona ein wenig zu folgen. Auf meiner Fahrt auf der Autobahn sah ich Männermagazine und erkannte: „Guter Gott, das ist die selbe Frau!“ Und ich wollte einfach auf diesen Fotos sein, ich wollte teilhaben an diesen Fotos, ich wollte Jeff Koons abwerten.

JS: Aber wie sind Sie ihr begegnet?

JK: Ich rief sie an.

JS: Das war alles?

JK: Mmmm.

JS: Und das war die einzige. Sie, Sie, Sie.?

JK: Wir begegneten einander und es war eine biologische Anziehung.

JS: Und was bedeutete sie für Sie, als Sie so sehr den Wunsch hatten, sie zu treffen?

JK: Sie repräsentierte eine kompliziertere Vergangenheit als die meine. Jeff Koons hatte eine ziemlich normale Vergangenheit. Ich studierte an der Kunsthochschule, ich habe eine Kunstausbildung, ich partizipiere an der Hochkultur. Ilona bedeutete für mich Trivialkultur. Und da ich die Menschen dazu bewegen wollte, ihre Vergangenheit anzunehmen, wünschte ich mir meine ein bißchen komplizierter.

JS: Das heißt, sie war für Sie das Bild einer Möglichkeit in bezug auf Ihre Arbeit und auf Ihr Leben?

JK: Ilona war für mich das Bild einer bayrischen Kuh, ein Bild der Fruchtbarkeit. Im Augenblick bin ich gerade sehr glücklich, daß wir unser erstes Kind machen – Ilona ist jetzt im fünften Monat.

JS: Und denken Sie, daß das Baby in die Arbeit einbezogen werden wird?

JK: Es ist eine biologische Skulptur.

JS: Weil die Grenze zwischen. Sie bewegen sich völlig im Bereich der Medien, wo es keine Grenze zwischen Realität und Leben gibt, keine Privatsphäre.

JK: Mein Bezug zu Medien besteht bloß darin, daß ich versuche, mich als Künstler zu organisieren. Mit den Medien ist ein gewaltiges Maß an Heuchelei verbunden und die Ebenen, auf die sich Künstler begeben müssen, was sie tun müssen, wie sie sich präsentieren müssen, entspricht nicht notwendigerweise den eigenen Moralvorstellungen. Will man aber Wirksamkeit erlangen, so muß man jene Moral annehmen.

JS: Sie bringen einen Begriff ins Spiel: „Moral“. Viele Menschen sind der Meinung, daß Ihre Arbeit möglicherweise einen moralischen Hintergrund hat. Was meinen Sie dazu?

JK: Meine Arbeit hat einen moralischen Hintergrund: Sie will das Leben genießen, sie handelt davon, auf das Leben zu hören, sie handelt davon, so viele Chancen wie möglich im Leben zu haben, und davon, diese Parameter auszuweiten. Ich mag Michelangelo, denn wenn ich Michelangelo betrachte, geht es dabei ums Onanieren. Das Barock, die Überbetonung eines Muskels läßt einen den eigenen Muskel spüren. Eine überlebensgroße weibliche Brust läßt eine Frau die ihre spüren. Das ist eine Form von Onanie. Das bringt einen mit dem Leben in Berührung.

JS: Das heißt, Sie onanieren gerne?

JK: Ich genieße das Onanieren lediglich als ein Mittel, um auf das Leben zu hören. Ich glaube, Liebe ist ein höheres Stadium. Man kann durch Onanie nicht in die Ewigkeit eintreten, durch Liebe hingegen schon.

JS: Und das Begehren?

JK: Ich halte sehr viel vom Begehren.

JS: Weil es in Ihrer Arbeit ein großes Begehren nach Menschen gibt, die sie betrachten?

JK: Ich hoffe, daß die Arbeit Begehren erzeugt und den Menschen deutlich macht, daß sie ihr Begehren erfüllen können. Gleichzeitig trennt sie niemanden von seiner Vergangenheit. Niemals hat irgend jemand einen Jeff Koons betrachtet und dabei das Gefühl gehabt, daß diese Arbeit von oben herab zu ihm spricht, man hat sich meiner Arbeit immer überlegen gefühlt.

JS: Sie spielen mit den Medien, aber Ihre Kunst bewegt sich professionell in diesem Feld, was für einen Künstler ziemlich ungewöhnlich ist.

JK: Ich spreche gerne über meine Arbeit und ich übernehme gerne die Verantwortung, den Leuten zu erklären, worum es darin geht. Das allerletzte, was ich will, ist, daß ein Kritiker oder Kurator dem Publikum gegenüber definiert, worum es in meiner Arbeit geht. Wenn ich über die Medien spreche und wenn ich in Hochform bin, funktioniere ich tatsächlich wie ein Autopilot.

(Wien, Juni 1992)

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