KünstlerInnenporträts 03

Gespräch mit Andrea Fraser

Andrea Fraser: Wie sehe ich aus?

Christian Philipp Müller: Ist es o.k.?
Andrea, bist Du gerne im Fernsehen?

AF: Sicher! Es ist aufregend, weißt Du, es bekommt nicht jede/r die Gelegenheit, ins Fernsehen zu kommen! Mit Sicherheit nicht jede/r KünstlerIn. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, daß ich berühmt werde. KünstlerInnen werden normalerweise durch Geschichte, durch Institutionen berühmt und nicht durchs Fernsehen. KünstlerInnen beziehen sich üblicherweise auf Geschichte und nicht auf ein Fernsehpublikum.

CPM: Wie wichtig ist es für Dich, daß das Fernsehpublikum Deine Arbeit kennt?

AF: Wir müssen das wahrscheinlich alles nochmals neu beginnen! Es wäre eventuell hilfreich für mich, wenn Du mir spezifischere Fragen stellen könntest, damit ich mich in diesem Gespräch hier irgendwie orientieren kann. Denn je allgemeiner die Fragen, weißt Du, desto abstrakter antworte ich und ich kann wirklich in einen…
Aber, egal…

CPM: Ich meine, wäre es spezifisch, wenn ich Dich, wie zu Beginn, fragen würde: Was genau ist Dein Beruf?

AF: Na ja, ich bin Künstlerin.

CPM: Das ist nicht ganz die Antwort, die ich hören wollte, weißt Du.

AF: Und an was für eine Antwort hast Du dann gedacht? Mehr eine Beschreibung dessen, was ich tue?

CPM: Ja, über Deine Führungen!

AF: Na gut, wenn Du willst… Also, die Kamera läuft! Ich glaube, das wird absolut verrückt – ein Interview über ein Interview – aber vielleicht wäre das gar nicht so schlecht! Also, ich habe ungefähr vier Gallery-Talk-Performances durchgeführt; das sind Performances in Form von Führungen durch Galerien oder Museen. Die ersten beiden waren 1986, und zwar für temporäre Ausstellungen in New York, eine in einem Museum und eine in einem von KünstlerInnen selbstverwalteten Raum. Und dann, einige Jahre später, begann ich, mich gezielter mit der Geschichte der Kunstmuseen in den Vereinigten Staaten auseinanderzusetzen und drehte ein Video in Form einer Museumsführung. In der Folge machte ich eine Führung durch das Philiadelphia Museum of Art, das eine Art enzyklopädisches Museum in Philiadelphia ist. In den Vereinigten Staaten gibt es an den meisten Museen üblicherweise Personal bzw. freie MitarbeiterInnen, meist Frauen, die als „DozentInnen“ bezeichnet werden und in den Museen Führungen abhalten. Im allgemeinen werden sie von der Bildungsabteilung ausgebildet.

CPM: Und glaubst Du, daß diese Leute die Sprache ihres Publikums sprechen?

AF: Na ja, das ist schwer zu sagen, denn jedes Publikum spricht eine Menge verschiedener Sprachen.
In den Vereinigten Staaten – ich denke, das gilt jedenfalls für die meisten Museen, die moderne und zeitgenössische Kunst zeigen – ist das, was Museen in erster Linie tun, die Transformation von, man könnte das „bürgerliche, häusliche Kultur“ nennen, in öffentliche Kultur. Ganz eindeutig war das so in den USA, wo viele Museen nach Epochen-Sälen gegliedert waren oder als Familien-Präsentationen, die keinen streng historischen Bezugspunkt aufwiesen, sondern eher auf die private Umgebung der Sammler und Stifter der jeweiligen Museen rekurrierten. Es gibt unglaublich viele „Familien-Museen“ und ähnliche Dinge…
Diese Übersetzung einer klassenbildenden häuslichen Kultur in eine öffentliche Kultur, die Museen bewirken, wird zunächst bestimmt durch eine Verlagerung, eine Überführung aus einem Privathaus in ein Museum, in der Folge aber durch die Einführung von Klassifikationssystemen und Bewertungskriterien, wodurch einzelne Gegenstände eine bestimmte Bedeutung bekommen. Kunstgegenstände werden von anderen Objekten, die deren gesamtes häusliches Umfeld ausmachen und erstere als solche auch gesellschaftlich verorten, getrennt. Die Einführung dieser Klassifikationssysteme und Bewertungskriterien erfolgt in Museen durch Praktiken, die ich „Bildungspraktiken“ nennen würde. Sie sind vielleicht nicht erzieherisch im engeren Sinn, was die Organisation des Museums betrifft; möglicherweise kommen sie nicht aus der „Bildungs-Abteilung“, aber sie werden mittels einer Art zusätzlichen Materials, das von Museen rund um Kunstgegenstände produziert und vorgestellt wird, eingeführt und vermittelt, wie zum Beispiel Museumsführungen, Beschriftungen an den Wänden, Wandtexte, erklärende Texte und Plakate. Das sind die Formen, mit denen ich mich meist auseinandersetze und mit denen ich mich in der Vergangenheit auseinandergesetzt habe. Es ist auch etwas, das in der Installierung der Objekte vorgenommen wird und in deren Auswahl. Es geschieht beim Aufbau einer Sammlung, der stets durch einen Ausschluß vorgenommen wird, durch das, was außerhalb dieser Sammlung bleibt. Sammlungen werden durch Ausschluß aufgebaut. Wie weit kann ich damit noch gehen?

CPM: Ich weiß’ nicht!

AF: Aber wahrscheinlich ist das eine viel zu akademische Sprache!

CPM: Nein, es ist o.k.!

AF: Mein generelles Verständnis dessen, was Kunstproduktion ist, oder wie ich mir meine eigene künstlerische Praxis gerne vorstelle, ist der Versuch einer funktionellen bzw. effektiven Intervention in dem Kontext, innerhalb dessen ich funktioniere. Aber ich verstehe diesen Kontext als einen primär als Beziehung bzw. als Beziehungsgefüge konstituierten. Das heißt, bei den Museumsführungen umfassen diese Beziehungen meine Beziehung zur Institution, die Beziehung des Publikums zur Institution und die Beziehung des Publikums zu mir als Künstlerin oder als Dozentin, wenn ich als Dozentin auftrete.
Ich möchte Kunstproduktion als eine Art gesellschaftlicher Praxis verstehen, als gesellschaftliches Handeln, im Gegensatz zu einer Art spezialisierten Handelns, das ein bestimmtes Produkt hervorbringt. Als gesellschaftliches Handeln befaßt sich meine Tätigkeit primär mit einer Form von Bildung bzw. steht im Verhältnis zu Bildung. Wenn ich in Museen arbeite, so steht das spezifisch im Verhältnis dazu, wie Museen vorgehen, um ein Publikum in Bezug auf Kunst zu bilden. Und es gibt Programme, die ähnlich funktionieren wie Museen, als öffentliche Bildung in einem relativ autonomen und abgegrenzten Bereich, der dann auch sehr abstrahiert bzw. abgetrennt ist von der alltäglichen Erfahrung von Kultur, vom Leben der meisten Menschen.
Was mich an der Arbeit mit Museen interessiert, ist eine Form von „Gegen-Bildung“ dazu; das heißt, eine Situation herzustellen, die andere Vorstellungen von Kultur und ein anderes Verständnis von Kunstobjekten ermöglicht. Und zwar nicht nur von meiner Position aus, sondern auch von der Position. von der Verortung der Menschen aus, die Museen besuchen und die möglicherweise außerhalb der Tradition stehen, in der ich arbeite. Ich denke, daß Menschen Kunst zum Beispiel auf eine Weise verstehen können, die nicht unbedingt den Intentionen der KünstlerInnen entsprechen muß, sondern auch darauf bezogen sein kann, wie sie Kunst gesellschaftlich erfahren.
Worum es in der Beziehung zu Kulturgegenständen geht, ist meines Erachtens die eigene Beziehung zur eigenen Geschichte, sagen wir: zur eigenen Familiengeschichte im Rahmen der Kultur, die das jeweilige häusliche Umfeld bestimmte, in dem wir aufwuchsen, oder zur kollektiven Geschichte – insofern diese Geschichte kulturell repräsentiert wird; die eigene Beziehung zum zeitgenössischen Umfeld, dem gegenwärtigen familiären oder dem urbanen Umfeld; die Beziehung zum eigenen Körper insofern Moden und Normen Selbstpräsentation darstellen und wesentlich Teil der Kultur sind; und der Geschmack, der die eigene Beziehung zu Kulturgegenständen oder Kunstgegenständen bestimmt, steht in Zusammenhang mit dem Geschmack, der die eigene Selbstrepräsentation prägt.
Meine Arbeit mit Museen hat also sehr viel damit zu tun, was geschieht, wenn sich ein bestimmtes Kulturmodell im öffentlichen Bereich durchsetzt, und auf welche Weise diese Öffentlichkeit dies erlebt.

CPM: Ich habe keine weiteren Fragen.

AF: Genügt das?
Gott, ist das trocken!

CPM: Was meinst Du mit „trocken“?

AF: Die Art, wie ich gesprochen habe!

CPM: Aber nein!

AF: Es ist furchtbar trocken. Die Performances, die ich mache, sind tatsächlich sehr lustig!

(Wien, Juni 1992)

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