River

Gespräch mit Gerhard Richter

Hans-Ulrich Obrist: Am Anfang.

Gerhard Richter: Wir fangen einfach an. (lacht)

HUO: Der Blow up und das Spiel mit dem Maßstab sind ein fil rouge in Deiner Arbeit. Ich denke zum Beispiel an die Skizzen im Atlas, wo Bilder zu großen utopischen Räumen werden sollten oder an die Mikrostudien auf Papier in den siebziger Jahren, die wenig später die ersten großformatigen abstrakten Bilder ausgelöst haben.

GR: Stimmt, das gab es häufiger.

HUO: Wie kam es zum Blow Up Deines Kerzenbildes in Dresden ?

GR: Ich weiß gar nicht mehr wer in Dresden auf die Idee kam, für die Abdeckung dieser großen Fassade ein Bild von mir zu wollen. Ich glaube es war Dr. Schmidt vom Museum, und er war es auch, der ein Kerzenmotiv vorschlug. Ich collagierte dann verschiedene Kerzenbilder in das Photo der Fassade, und so kam es zu dem Motiv der 2 Kerzen, das am geeignetsten schien. Anfangs sollte das ja nur einen hübschen Anblick ergeben, aber später entdeckte man auch eine politisch nutzbare Aussage des Kerzenbildes.

HUO: Wie hat sich das Bild politisch aufgeladen?

GR: Das kam durch die bevorstehenden Feierlichkeiten zum 13. Februar, als vor 50 Jahren Dresden zerstört wurde. Und Kerzen waren für die DDR immer schon ein wichtiges Symbol, als stille Demonstration gegen das Regime, das war schon sehr beeindruckend. Es bleibt natürlich ein seltsames Gefühl, zu sehen, daß aus so einem kleinen Kerzenbild plötzlich etwas, ganz anderes wird, etwas das ich ja nie beabsichtigt hatte. Denn als ich es malte, hatte es weder diese eindeutige Aussage, noch sollte es irgendetwas von einem Straßenbild haben. Es ist mir sozusagen entlaufen und etwas geworden, für das ich ja gar nicht mehr kompetent bin. Mit dem Wiener Bild ist es ja ähnlich.

HUO: Das mit dem Entlaufen der Bilder ist.

GR: wie mit den Kindern, die später was machen, was man gar nicht mehr versteht.

HUO: Es gibt diese Zweibeinetheorie. Die Werke sind in hochspezialisierten diskursiven Zusammenhängen präsent und haben gleichzeitig eine populäre Dimension.

GR: Das war mir bisher eben nicht bewußt, daß ein Bild in den verschiedensten Erscheinungsformen auftritt, für die ich überhaupt nicht oder nur selten zuständig bin. Das machen dann andere, und weil die anderen es zu einem anderen Zweck machen, wird es dann auch ein anderes Bild. Die Postkarte einer Kerze ist zum Grüßeschreiben da und das Großbild zum Dranvorbeifahren. Beides habe ich nicht gemacht und nicht beabsichtigt. Ein schöner Nebeneffekt. Zur Popularisierung.

HUO: Die Erscheinungsform desselben Bildes verändert sich durch die Auswahl des Details, durch die Vergrößerung sowie durch die Übertragung mittels CALSI (Computer Aided Large Scale Imagery). Die Übersetzung ist in Deinen Bildern permanent vorhanden; die Übersetzung vom Photo zum Bild, das wiederum reproduziert wird. Das Format des Großbildes (50 mal 10 Meter) erinnert an die Propagandabilder der russischen Revolution, zum Beispiel von Altman oder an Dufys Fee Electrique. Oder an Dein monumentales Strichbild.

GR: Nur, daß es sich bei Raoul Dufy nicht um eine Reproduktion handelt, sondern er hat es ja direkt und selbst auf die Wand gemalt. Und meine 2 großen Striche waren nicht die Vergrößerung von Bildern, sondern die Vergrößerung von Entwürfen, die ich nur zu diesem Zweck gemacht hatte. – Das Bild für die Wiener Kunsthalle dagegen ist eine Reproduktion, noch dazu die eines Details aus einem Bild. Es wird also ein ganz neues Bild und zwar auch deshalb, weil seine Urheberschaft eine ganz andere ist. Ich hatte ja nicht die Idee, sondern andere hatten sie, und die Motivwahl wurde dann eher kollektiv vorgenommen, also nicht von mir allein. Das ist also eine ganz andere Arbeitsweise, eher wie von einer Werbeagentur, wo ich mal für ein Projekt lang mitarbeite. Das ist ganz spannend und sehr zeitgemäß. – Vielleicht lassen sich auch mal Ausstellungen viel besser und publikumswirksamer mit Reproduktionen statt mit Originalen inszenieren.

HUO: Bruce Sterling gibt seit einigen Jahren seine Bücher aufs Internet und macht sie so allen verfügbar. Erstaunlicherweise sind dadurch die Verkaufszahlen für Hardcover und Paperback, also für Atome und Bites in keinster Weise zurückgegangen, sondern in die Höhe geschnellt. In der virtuellen und digitalen Welt gibt es ein großes Bedürfnis für das Buch als haptisches Objekt: Gleiches gilt auch für Ausstellungen, die Originale werden nicht wertloser, aber die Verbreitung ist eine viel größere.

GR: Das ist gut, – man sollte ja auch nur das wollen: so weitgehend wie möglich präsent sein. Sich verbreiten. Sonst tun es andere. (lacht)

HUO: Gibt es da Limits? Das Fernsehen?

GR: Nur deshalb, weil die mit Bildern nichts anfangen können. Die wollen nur Schauspieler, der Künstler in der Talkshow, der sich dann gänzlich lächerlich macht.

HUO: Und ein Standbild im Fernsehen?

GR: Das wäre wunderbar, ab und zu ein stilles Bild auf der Mattscheibe, ohne Kommentar, ohne Musik, vielleicht wäre das für die Zuschauer eine Erlösung.

HUO: Robert Bresson sagte, daß in jedem Medium andere Regeln gelten. Es gibt in New York seit kurzem die Tendenz, daß Künstler Hollywood Filme machen. Vielleicht ist es ja in diesem Zusammenhang interessant über Dein Filmexperiment in Japan zu sprechen.

GR: Wo ich mich vergriffen habe, also ziemlich leichtsinnig mich in einem anderen Medium versucht habe. Das ging ganz daneben. Film ist nichts für mich.

HUO: Das führt uns wieder zu Deinen anfänglichen Vorbehalten mit dem Großbild.

GR: Ich dachte anfangs, etwas ganz besonderes machen zu müssen, also nicht das was ich kann, sondern etwas ganz anderes, etwas Spektakuläres, Schreiendes oder Witziges. Da fallen einem dann jede Menge alberner Ideen ein, die einen am Ende nur noch deprimieren. Deshalb war Deine Idee, das River-Bild zu benutzen sehr heilsam. Und daß nur ein Detail vergrößert wird, finde ich sehr schön, – paßt ja auch zu dem geplanten kleinen Buch, daß nur Details zeigen soll.

HUO: Das Halifaxbuch war multiperspektivisch und versammelte verschiedene Ansichten eines Bildes. Das jetzt entstehende Buch wird im Gegenteil dazu frontal abgebildete Details eines Bildes umfassen. Bezüglich des Großbildes dachtest Du ja anfänglich an den Blow Up einer Photosequenz.

GR: Ja, aber wie gesagt: an ganz besondere Photos, die ich ja gar nicht kann. Jetzt könnte ich mir auch meine Photos für so ein Großbild vorstellen. Das nächste Mal.

(September 1995)

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